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Alltagswelt aus allen Fugen

■ Laut und Luise und mehr: Wenn Alistair Noon nicht von Tampons und Tomaten erzählt, schafft er mit Lippen, Nase und Händen phonetische Gedichte. Spinnen die, die Engländer?

Was kann man mit Kafka außer lesen schon groß anfangen? Auseinanderpflücken zum Beispiel, Silbe für Silbe, Buchstabe für Buchstabe. Das liest sich „Ka, ka – f – Ka, ka – f – f, ka – ka, f – fka – kaf – a, a [...] Kafka“. Zu Gehör gebracht, macht die Sache mehr Sinn. Lautpoesie ist eben zum Hören da. Und Amüsieren.

Lautdichter Alistair Noon macht aus seinen Auftritten eine kleine Show. Das haben die Briten so an sich, denkt man. Aber Noon ist bloß aufgeregt, bevor es losgeht. „Das ist ganz in Ordnung so“, erklärt der 28jährige, „sonst könnte ich nicht gut sein.“ Gut ist er, keine Frage. Er steht am Mikro, fummelt dabei am Ständer herum, der linke Arm wandert hin und her, die Füße wippen ohne Unterlaß. Jeder „konzentriert“ sich eben anders, trägt er vor.

Bei Alistair Noon sind das Gedichte, mal auf Englisch, mal auf Deutsch, kurze Geschichten und Lautpoesie. Dabei erzählt er vom Leben und vom Alltag. In „A Supermarket in Berlin“ zum Beispiel kommen nicht nur spanische Tomaten („more water than flesh“) und überteuerte baked beans, sondern auch Allen Ginsberg und T.S. Eliot vor. Das paßt zwar scheinbar nicht zusammen, ist aber trotzdem lustig. Erst recht, wenn die kleine Alltagswelt aus allen Fugen zu geraten scheint: „Finding tampons where I thought the toothpaste was.“ Wem ist das nicht schon mal so oder ähnlich passiert.

Aber gleich aufschreiben? Warum nicht, meint Alistair Noon, der in Bristol Germanistik und Slawistik studierte. Zehn Monate lebte er in Rußland und verbrachte schon im Wendejahr ein halbes Jahr in Westberlin, arbeitete bei einer Bank in Spandau und wohnte bei „spießigen“ Leuten in Charlottenburg. So etwas prägt ungemein. Deshalb lebt er jetzt, seit 1993, wieder in der Stadt, in Prenzlauer Berg, da, wo junge Literaten hingehören, in einer WG. Kann er von seiner Kunst leben? „Mit dem Nebenjob als Sprachlehrer ist das halbwegs möglich.“ Mindestens einmal im Monat steht Noon auf der Bühne. Dabei sind die schönsten, weil lustigsten Momente die, in denen er selbst lachen muß, weil im Publikum geprustet wird. Das kommt bei Lautpoesie öfter vor, wenn die Ebene der Silben und Buchstaben verlassen, nur noch mit Geräuschen aller Art gearbeitet wird. Dann zischt, grunzt, bellt, schnalzt und schmatzt der Lautdichter und schafft mit Mund, Lippen, Nase und Händen phonetische Kompositionen. Inhalte sind nicht mehr wichtig. Noon will sein Publikum „mit Lauten und Rhythmen bewegen.“ Diese Spoken Word Poetry klingt nach reinster Improvisation, doch Alistair Noon zeichnet seine Lautgedichte auf. Damit unterscheidet er sich wesentlich von den Lautdichtern seiner Heimat, die die reine Improvisation bevorzugen. Noon hält es da lieber mit anderen Vorbildern, bezieht sich auf Kurt Schwitters, Ernst Jandl und andere. Vom russischen Lautdichter Walerie Scherstjanoi übernahm er die Art der visuellen Darstellung seiner erdachten Laute. Das ist ziemlich schwer, wenn der Reihe nach das englische, deutsche, russische oder das phonetische Alphabet versagen, sich für einen bestimmten Laut keine bildhafte Entsprechung finden läßt. Dann gibt es nur eins: Der Lautdichter legt sich sein eigenes Lautzeichenalphabet zu. Andreas Hergeth

Nächster Auftritt: Innerhalb der „Reformbühne“, 17.2. (ab 20 Uhr) im Schokoladen, Ackerstraße 169

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