: Ein Ministerium als Chaotenhaufen
■ Parlamentsbericht kritisiert Großbritanniens Politik in Sierra Leone. Endet die Zeit unkontrolliert agierender Söldner und Diplomaten?
Berlin (taz) – Die zweideutige britische Politik gegenüber dem westafrikanischen Bürgerkriegsland Sierra Leone wird zum politischen Streitthema. Nach Berichten über die Anwesenheit britischer Militärs in der umkämpften sierraleonischen Hauptstadt Freetown (siehe taz von gestern) ist in London ein Grundsatzstreit über die britische Politik gegenüber dem Land ausgebrochen.
Auslöser ist ein Untersuchungsbericht über Sierra Leone, den der Auswärtige Ausschuß des britischen Unterhauses am Dienstag veröffentlichte. Hierin wird beleuchtet, wie es dazu kommen konnte, daß die britische Söldnerfirma Sandline Anfang 1998 in Sierra Leone half, eine Junta zu stürzen und den Präsidenten Ahmed Tejan Kabbah wieder ins Amt einzusetzen. Sandline brach dafür mit Wissen hochrangiger Mitarbeiter des britischen Außenministeriums das UN-Waffenembargo gegen Sierra Leone.
Die sogenannte Sandline-Affäre wurde bereits 1998 im britischen Außenministerium intern untersucht. Damals trat zutage, daß Außenminister Robin Cook offenbar von seiner eigenen Afrika-Abteilung im dunkeln gelassen worden war. Der Unterhaus-Untersuchungsbericht durchleuchtet nun weniger die Beziehung zwischen Minister und Ministerialbeamten als die zwischen Ministerialbeamten und Diplomaten im Ausland sowie privaten Söldnerfirmen. Er stellt „fürchterliches Versagen“ fest: So hätten die verantwortlichen Stellen versäumt, betroffene Personen davon zu informieren, daß das UN-Waffenembargo gegen Sierra Leone per Regierungsverordnung in britisches Gesetz übernommen worden war und für alle Kriegsparteien galt. Unter anderem sei es „erstaunlich“, daß der britische Botschafter in Sierra Leone die Verordnung nicht kannte und daß auch Sandline-Chef Tim Spicer offenbar davon nicht in Kenntnis gesetzt wurde, als er mit Ministeriumsangehörigen sprach.
„Wir hoffen“, so der Bericht, „daß die Sandline-Affäre alle Diplomaten daran erinnert, daß sie nur innerhalb der von Ministern gesetzten politischen Grenzen agieren, und das Außenministerium muß sicherstellen, daß die Regierungspolitik den Botschaftern und betroffenen Abteilungen kristallklargemacht wird.“ Mit anderen Worten: Das britische Außenministerium ist ein Chaotenhaufen und agiert zum Teil außer Kontrolle. Kein Wunder, daß Außenminister Cook den Bericht jetzt „total unfair“ nannte.
Von Brisanz sind die Empfehlungen des Berichts – Maßnahmen zur besseren Überwachung von Waffenembargos und privaten Söldnerfirmen durch die britische Regierung. Sie laufen darauf hinaus, die auch in Ländern wie Frankreich zu beobachtende Verlagerung der Afrikapolitik in halboffizielle Privatzirkel zu beenden und wieder eine straffere Kontrolle zu installieren.
Solche Vorschläge werden jetzt Stimmen stärken, die ein direktes Eingreifen Großbritanniens in Sierra Leone befürworten, anstatt obskure und schwer zu kontrollierende private militärische Aktivitäten zu tolerieren. Da anders als 1998 heute nicht britische Söldnerfirmen, sondern britische Militärs in dem Land aktiv sind, ist diese Kehrtwende offenbar bereits im Gange. Dominic Johnson
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