: Ein Kantonsmodell für Kosovo?
Der orthodoxe Bischof der serbischen Provinz kritisiert im Namen der Kosovo-Serben die Verhandlungsführung des Milošević-Regimes ■ Aus Rambouillet Erich Rathfelder
Eine Delegation der Kosovo- Serben hat gestern die Verhandlungsführung der jugoslawischen Regierung auf der Konferenz in Rambouillet bei Paris kritisiert. Die wirklichen Repräsentanten des serbischen Volkes seien von den Verhandlungen ausgeschlossen, erklärte der orthodoxe Bischof Artemje von Prizren, der höchste orthodoxe Geistliche in Kosovo, vor dem Schloß von Rambouillet. „Hier verhandeln nur die Vertreter der regierenden Partei, nicht jedoch die der Bevölkerung. Wir brauchen ein demokratisches System und keine Einparteienherrschaft.“
Schon seit einem Jahr hatte die orthodoxe Kirche sich in scharfer Form gegen die Politik des Milošević-Regimes ausgesprochen und demokratische Rechte für alle Bürger Kosovos verlangt. Vor dem Hintergrund der sich entwickelnden bewaffneten Auseinandersetzungen forderten schon damals Artemje, der kosovo-serbische Oppositionspolitiker Momcilo Drajković und der Mönch Sava aus dem Kloster Decani die politische Führung auf, einen friedlichen Ausgleich der Bevölkerungsgruppen zu erreichen.
Auf Reisen in die USA und die Hauptstädte Europas versuchte diese Gruppe deshalb, als Stimme der altansässigen kosovo-serbischen Bevölkerung auf die Gefahren der Kriegspolitik hinzuweisen. Mit nur geringem Erfolg. „In Belgrad wurden wir nicht einmal von Milošević empfangen“, sagte Sava gestern in Rambouillet.
Der Einfluß der Kirche auf die rund 200.000 Kosovo-Serben ist nach eigenen Angaben groß. Die Politik sei jedoch nicht von den alteingesessenen Serben, sondern in Belgrad gemacht worden, erklärten die drei gestern. Artemje und Sava bedauerten die Exzesse während der letzten Monate und gaben gleichermaßen dem Milošević-Regime wie auch der kosovo-albanischen Untergrundarmee UCK die Schuld an der Entwicklung. „Wir treten für ein friedliches Zusammenleben aller Bewohner des Kosovo ein“, betonten sie.
Die seit rund 1.000 Jahren im Kosovo existierende Kirche fürchtet um die Existenz der serbischen Bevölkerung wie auch um die eigene Zukunft. Die Klöster und Kirchen des Kosovo gehörten zu den prächtigsten und wichtigsten der orthodoxen Welt. Angesichts der Unsicherheit seien jetzt schon viele Serben weggezogen, erklärten die drei. Um einen weiteren Exodus zu vermeiden, müßten in einem künftigen Kosovo die Minderheitenrechte der Serben geschützt werden. „Wir könnten uns ein Kantonssystem vorstellen. Die lokale serbische Bevölkerung müßte dann über Selbstverwaltung verfügen und auch über eine eigene Polizei.“ Auf der staatlichen Ebene könnte ein Zwei-Kammern-Parlament alle Bevölkerungsgruppen repräsentieren. „Wir wissen nicht viel über die Verhandlungen, wenn es jedoch darum geht, Kosovo einen Republikstatus zu verleihen, dann sollte dieses von uns ausgearbeitete, sehr detaillierte Modell der Selbstverwaltung ernsthaft in Erwägung gezogen werden“, sagte Sava in Rambouillet.
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