: Katerstimmung am Präsidententag
Der freigesprochene Clinton ist in Mexiko, die Senatoren sind im langen Wochenende, und die Washingtoner Presse überlegt wehmütig, wie sie das Ende des Impeachment-Verfahrens gegen den US-Präsidenten verkraften soll ■ Aus Washington Peter Tautfest
Heute ist in in den USA ein Feiertag: „President's Day“ – wie sinnig! Die Stadt ist leer. Der Präsident ist in Mexiko, die Abgeordneten aus dem Repräsentantenhaus waren bis auf die Vertreter der Anklage schon Freitag ins lange Wochenende und zu ihren Wählern nach Hause gefahren. Die Senatoren beeilten sich nach der Abstimmung, ihre Flugzeuge zu kriegen.
James Rogan, einer der Ankläger, ließ die Presse wissen, daß er mit seinen Kindern, die er sechs Monate lang vernachlässigt hatte, nach Disney Land wolle. Ben Campbell Nighthorse, der Senator aus Colorado, wollte Motorrad fahren, und John Breaux, Senator aus Louisiana, angeln gehen.
Es ist vorbei. Alle sind erleichtert und klopfen sich gegenseitig auf die Schulter: Die Verfassung hat sich bewährt, und sie wurde bewahrt, und am Ende gab es sogar das, was man hier wie ein Mantra beschwört: „bipartisanship“ – will sagen, Politiker fanden über Parteigrenzen hinweg zusammen: Der republikanische und demokratische Fraktionsführer im Senat schüttelten sich nach der Abstimmung die Hand. Allerhand!
Ja, selbst der Präsident schlug in einer 80 Sekunden währenden Ansprache im Rosengarten des Weißen Hauses versöhnliche Töne an. Er entschuldigte sich noch mal für alles, was er dem Lande und seinen Institutionen angetan hatte. Auf die Frage, ob er zur Vergebung bereit sei, kehrte er noch mal ans Mikrophon zurück und sagte: „Ich glaube, daß jedem Vergebung gewährt werden muß, der darum bittet“, womit er auf meisterhafte Weise offen ließ, ob er meinte, daß ihm, seinen Verfolgern oder beiden verziehen werden müsse.
Und nun? Am Tag vor der Urteilsverkündung überlegten Vertreter des Washingtoner Pressecorps, die vom Weißen Haus auf Bundeskanzler Schröder warteten, was sie denn in der Nach-Lewinsky-Ära machen würden. „Ich kann endlich aus der Stadt raus und mal eine schöne Reportage schreiben“, erklärte der Korrespondent eines Frankfurter Blattes – „nur fürchte ich, das wollen jetzt alle, und da werden sich die Journalisten in Amerikas Provinz auf die Füße treten.“ Keine Bange, die dürfte groß genug sein.
Washington fühlt sich an diesem Montag an wie unter dem Smog einer kollektiven Katerstimmung mit ersten Entzugserscheinungen. Die Themen, die jetzt anstehen, sind weit weniger unterhaltsam, als es Sexskandal und Machtkampf waren. Clinton hat die Rentenreform zum Thema gemacht. An der Erhaltung der Rente über das Jahr 2030 oder 2050 oder gar 2075 hinaus will er seine Amtszeit gemessen wissen. Und dann stehen noch solche kniffligen Fragen an wie eine Reform der Wahlkampffinanzierung und der Parteispenden sowie Investitionen in das öffentliche Schulsystem und die ewige Frage, ob nicht wieder mal eine kleine Steuersenkung gefällig sei. Jetzt wird sich zeigen, ob das US-amerikanische Volk, das den Journalisten und Demoskopen so tapfer sein Desinteresse am Lewinsky- Skandal in die Feder diktiert hat, sich jetzt tatsächlich auf die „Geschäfte der Nation“ konzentriert.
Und dann wirft ja schon der Wahlkampf des Jahres 2000 seine Schatten voraus. Was sich da abzeichnet, ist auch nicht unbedingt intelligentere Unterhaltung als der Lewinsky-Skandal, aber amüsanter als eine Debatte über Steuersenkungen. Inzwischen weiß man schon, daß Bob Doles Ehefrau mit dem hohen Amt liebäugelt – eine Niederlage reicht der Familie Dole wohl nicht. Und Dan Quayle, der ehemalige Vize von Bush, der immer akkurat in die Mitte aller Fettnäpfchen trat, ließ das TV-Publikum mit treuem Augenaufschlag wissen, daß er sich tiefe Sorgen macht. Der Kampf um die Moral der Vereinigten Staaten dürfte also auf höherer Ebene weitergehen.
Auch die Journaille wird mit Aufräumarbeiten beschäftigt sein. Vor einem Jahr hatten die meisten den baldigen Abgang Clintons vorausgesagt. Das immerhin beweist der Lewinsky-Skandal: Politiker sind oft langlebiger als die Kommentare, die sie begleiten.
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