: Alle dachten an den Toten in Guben
■ In Berlin wurde das zerstörte Grab Heinz Galinskis wiedereingeweiht
Berlin (taz) – Der 28 Jahre alte Algerier war dabei – zumindest in den Gedanken der Trauernden, zumindest in ihren Worten. Bei der Wiedereinweihung des im letzten Dezember durch einen Bombenanschlag zerstörten Grabs des früheren Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, sprach jeder von dem jungen Nordafrikaner. Rechtsradikale junge Männer hatten ihn in in der Nacht zum Samstag im brandenburgischen Guben zu Tode gehetzt.
Am Grabmal auf dem Jüdischen Friedhof im Berliner Stadtteil Charlottenburg zeigten sich viele prominente Redner der Gedenkfeier erschüttert über die Bluttat. Ein seltsamer Kontrast zur friedlichen Stimmung auf dem kleinen Friedhof, dessen Stille nur durch ein paar frühlingshaft singende Vögel unterbrochen wurde. „Wie die Alten sungen, so zwitschern die Jungen“, sagte Ruth Galinski vor dem Grab ihres 1992 gestorbenen Ehemannes. Die fremdenfeindliche Tat gegen den algerischen Asylbewerber beschäftigte auch sie: „Keiner hat geholfen“, sagte Ruth Galinski und schüttelte immer wieder den Kopf, „keiner hat geholfen!“
Man lebe in einer Zeit ohne Respekt vor den Toten und den Lebenden, beklagte Andreas Nachama, der Vorsitzende der Berliner Jüdischen Gemeinde, gegenüber den mehr als 200 Trauernden am Beginn der Gedenkstunde. Er hoffe, so Nachama vor drei Fernsehkameras und etwa einem Dutzend Fotografen, daß in Deutschland ein Denkmal gebaut werde: „nämlich eine demokratische, tolerante und friedliche Gesellschaft“.
Michel Friedman vom Zentralrat der Juden in Deutschland betonte, solange Menschen in Deutschland zu Tode gehetzt würden, könne man nicht von „Normalität“ reden. Respekt vor dem andern fehle. Er sei „überrascht“, daß nach Anschlägen wie dem auf das Grab Galinskis viele lediglich „Scham“ und „Überraschung“ über solche Taten zeigten. Kinder würden nicht als Rassisten geboren, es seien die Eltern, die ihnen „dieses Gift“ einflößten. Taten wie der Bombenanschlag auf Galinskis Grab seien keine Kavaliersdelikte. Sie seien „nicht hinnehmbar, nicht pubertär“.
Vor der Granitplatte und dem schwarzen Grabstein Galinskis standen, auch als politisches Signal, prominente Vertreter des politischen Lebens in Deutschland, wie die Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach, Bundesinnenminister Otto Schily (SPD), Bundesfamilienministerin Christine Bergmann (SPD) sowie Berliner Parteiprominenz. Etwas hilflos wirkten die Bekundungen der Anwesenden über mögliche Täter des Anschlags auf das Grab: Bis heute gibt es keinen konkreten Hinweis auf die Bombenleger, ein Bekennerschreiben wurde schnell als falsch entlarvt. Als Konsequenz daraus steht vor dem neuen Grab rund um die Uhr ein Polizist.
Verfassungsrichterin Limbach sagte gegenüber der taz, die Gesellschaft müsse sich mehr um die junge Generation kümmern, der „absolute Respekt vor der Menschenwürde“ müsse von jeder neuen Generation neu gelernt werden. Die in Kreuzform geborstene Grabplatte liegt nun neben dem neuen Grabmal: als Erinnerung an den „Sprengstoffanschlag durch unbekannte Frevler“, wie dort steht. Philipp Gessler
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen