: Privatisierung auf der Anklagebank
■ Im Bauausschuß müssen sich die Wohnungsbaugesellschaften heute wegen ihrer umstrittenen Verkäufe an sogenannte Zwischenerwerber verantworten. WBM macht Verkauf rückgängig
Verkauft und betrogen fühlen sich viele Mieter der Ostberliner Wohnungsbaugesellschaften schon lange. Nun stehen die Privatisierungspraktiken der Gesellschaften erstmals auf der Tagesordnung des Abgeordnetenhauses. Unter dem Motto „Stand und Erfahrungen der Mieterprivatisierung“ sollen die Geschäftsführer der Wohnungsbaugesellschaft Mitte, Friedrichshain und Prenzlauer Berg auf Antrag aller Parteien am heutigen Mittwoch im Bauausschuß zu den umstrittenen Wohnungsverkäufen Rede und Antwort stehen. Dabei werden sie auch begründen müssen, warum ein Großteil der betroffenen Häuser nicht, wie vom Senat eigentlich gefordert, an die Mieter, sondern an sogenannte „Zwischenerwerber“ veräußert wurden.
Den schwersten Stand dürften dabei die beiden Geschäftsführer der Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM), Falk Jesch und Karl-Heinz Schmidt, haben. Die WBM war in die Schlagzeilen gekommen, nachdem zwei Wohnungskomplexe in der Pflugstraße sowie der Reinhardtstraße an die Zwischenerwerber „IBC“ und „G+R Altbausanierung“ verkauft wurden, ohne zunächst die Mieter zu fragen. Vor allem die 20 Mietparteien in der Reinhardtstraße 15–17/Am Zirkus 2 und 3 wissen mittlerweile ein Lied von den Folgen dieses Deals zu singen.
So fühlen sich die Firma G+R respektive deren Makler, der Bau- Verein zu Hamburg, weder an die vereinbarten Kündigungsfristen für Eigenbedarf noch an die zulässigen Mietsteigerungen gebunden. Statt dessen garantieren sie ihren Kaufinteressenten Nettokaltmieten um 16 Mark pro Quadratmeter. In mehreren Kaufverträgen wird sogar die Entmietung der Wohnungen in Aussicht gestellt. Unter anderem heißt es: „Die Bau- Verein zu Hamburg Altbau Immobilien GmbH versichert, daß sie sich nachdrücklich und bis auf weiteres um eine Entmietung des Objekts bemüht.“ Sobald die Entmietung vollzogen sei, würden die Käufer der 6.700 Mark je Quadratmeter teuren Wohnungen umgehend unterrichtet werden.
Für Mietervertreter Leander Zoff ist das eine Praxis, die an Betrug grenzt. Keine der 20 Mietparteien denke daran auszuziehen, sagt Zoff. Wie die anderen Mieter in der Reinhardtstraße fordert er die WBM auf, den Kauf mit der „G+R Altbausanierung“ rückgängig zu machen.
Zwar hat sich die WBM einem Gesprächswunsch der Mieter in der Reinhardtstraße über den umstrittenenen Verkauf bislang verweigert. Im Ensemble „Wöhlertgarten“ in der Pflugstraße mußte die Gesellschaft allerdings schon zurückrudern. Wie der Baustadtrat von Mitte, Thomas Flierl (PDS), gestern mitteilte, habe die WBM die Bereitschaft geäußert, den Verkauf des Wöhlergartens rückgängig zu machen. Die WBM sei nun bereit, die Bildung einer Mietergenossenschaft zu ermöglichen. „Es ist“, so der Baustadtrat, „insbesondere der Aktivität der Mietergemeinschaft im Wöhlertgarten zu danken, daß die WBM ihre Position überdacht hat.“ Uwe Rada
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