: „Das Problem sind die ohne Interesse“
Nur zwölf von 180 angehenden Polizisten und Kripobeamten an der Verwaltungsfachhochschule belegen freiwillig das Seminar „Türkische Mentalitäten“. Klage über Mißstände in der Ausbildung ■ Von Barbara Bollwahn de Paez Casanova
Der Polizeipräsident hätte seine helle Freude an den angehenden Kriminalbeamten und Schutzpolizisten gehabt. In der Türkischen Gemeinde saßen gestern vormittag zehn junge Männer und zwei Frauen von der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege (FHVR), die schon einmal in einer Moschee waren, das Fastenbrechen mit türkischen Berlinern gefeiert und noch längst nicht genug von fremden Kulturen haben.
Sie belegen das Seminar „Türkische Mentalitäten“, das Teil ihrer dreijährigen Ausbildung ist. Keiner hat sie zu dem Seminar gezwungen, das der 63jährige ehemalige Polizist Gerhard Lüders leitet, der über zwanzig Jahre Ausländerarbeit bei der Polizei gemacht hat. Es ist keine Anweisung von oben, sich mit dem Präsidenten der Türkischen Gemeinde und drei jungen türkischen Jurastudentinnen von der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIP) an einen Tisch zu setzen. Die Teilnahme ist freiwillig. So wollen die Polizeischüler auch wirklich wissen, warum eine von ihnen, die 25jährige Akgül, ein Kopftuch trägt, wie es um die deutschen Sprachkenntnisse ihrer Eltern steht und ob sie ihre Zukunft in der Türkei oder in Deutschland sehen.
Trotzdem wirft das Treffen ein Schlaglicht auf die Situation: Die Polizeischüler sind nur zwölf von insgesamt 180, die im März ihre Ausbildung beenden. Die drei türkischen Frauen haben – abgesehen von einigen Strafzetteln – keine Probleme mit der deutschen Polizei. So lobt einer der angehenden Beamten zwar „die nette Unterhaltung“, merkt aber an: „Wir müssen mit denen reden, die Probleme haben.“
Trotzdem war die Veranstaltung nicht vergeblich. In kleinen Grüppchen stehen die Teilnehmer im Anschluß zusammen und unterhalten sich mit ihrem Ausbilder. „Wir sind aufgeschlossen“, sagt der 32jährige Kai Gottfried, „das Problem sind die, die kein Interesse für die andere Seite haben.“ Auch mit Kritik an der Ausbildung hält er sich nicht zurück. „Unsere dienstlichen Kontakte auf Ausländer beschränken sich nur auf Straftäter“, sagt Gottfried, „dem wird in der Ausbildung aber keine Rechnung getragen.“ Statt „ein paar Stunden Freud“ im Fach Psychologie brauche man ein Konfliktbewältigungstraining. „Man muß die Notwendigkeit anerkennen“, so seine Forderung. Mit dem Hinweis des Ausbilders Lüders auf Tagesseminare an der Landespolizeischule gibt sich Gottfried nicht zufrieden. „Wir haben mehr Umweltrecht als Strafrecht, kein Ausländer- und kein Waffenrecht“, zählt er weitere Mißstände auf. Trotzdem hat er die Hoffnung, mit den Erkenntnissen des Seminars, das er als „Korrektiv zur selektiven Wahrnehmung“ sieht, Vorurteile bei weniger interessierten Polizisten abzubauen.
Der 30jährige Lars Rohde, der vor seiner Ausbildung schon einige Jahre auf einer Weddinger Polizeiwache war und an der FHVR eine Arbeit über „Fremdenfeindlichkeit bei der Polizei“ geschrieben hat, klagt über „Belastungsfaktoren“. So würden rechtliche Unsicherheiten im Ausländerrecht und zu viel Papierkram in der Behörde „Frust und Ärger“ verursachen, was bei einigen zu „ungewolltem Handeln“ führe. Ob er diese Dinge im Seminar anspricht? „Sicher“, antwortet er mit einem Blick, als wolle man ihn auf den Arm nehmen. Doch das Problem sei, daß derlei Vorstöße nicht unbedingt auf offene Ohren stoßen. „Was ist das für einer?“ sei die Reaktion.
Wie weit Wünsche oftmals von der Realität entfernt sind, zeigt auch das Gästebuch der Türkischen Gemeinde, in das Lüders einen Eintrag für die Gruppe macht. In mehreren Danksagungen von früheren Teilnehmern des Freiwilligenseminars wird die Zusammenarbeit mit blumigen Worten gelobt. „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“ oder „Schweigen ist Silber, Reden ist Gold“. Gerhard Lüder, für den Ausländerarbeit eine „Droge“ ist, von der er nicht loskommt, verewigt sich mit dem Satz „Es zählt der Mensch, unabhängig von der Nationalität“.
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