: Nicht in bester Verfassung
„Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ So steht es seit fünfzig Jahren im bundesdeutschen Grundgesetz. Und? Alles bestens? Wie war das noch mal mit dem gleichberechtigten Platznehmen auf der Regierungsbank im vergangenen Jahr? Die Geschlechterdemokratie läßt zu wünschen übrig, sind sich Feministinnen einig. Auf einem Kongreß in Berlin wird nun die Demokratisierung der Demokratie diskutiert. Ein Ausblick ■ von Adrienne Woltersdorf
Heute ist es schwer vorstellbar, daß es nach dem Zweiten Weltkrieg in den Besatzungszonen monatelanger Frauenversammlungen, waschkörbeweiser Protestbriefe und nächtelanger Diskussionen mit GewerkschafterInnen und Frauenverbänden bedurfte, bis dieser heute so banal klingende Satz in das Grundgesetz aufgenommen wurde: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“
Im Parlamentarischen Rat setzte sich die Juristin Elisabeth Selbert für diese Formulierung ein. Erst nach zwei Abstimmungsniederlagen gelang es ihr, diesen schlichten Grundsatz im Januar 1949 doch noch in den Verfassungsrang zu hieven.
Die Sozialdemokratin hatte nicht damit gerechnet, daß sie mit ihrem Vorschlag selbst bei den drei anderen Frauen im fünfundsechzigköpfigen Rat zunächst auf Ablehnung stoßen würde. Denn ihre Mitstreiterinnen waren mit der Formulierung aus der Weimarer Verfassung, „gleiche staatsbürgerliche Rechte und Pflichten“, eigentlich zufrieden. Sie hielten sie für ausreichend, um dem Verhältnis zwischen den Geschlechtern einen rechtlichen Rahmen zu geben. Selbert hingegen wollte über Weimar hinaus. Sie hielt den Passus für mißverständlich und vieldeutig; er lasse zu viele Auslegungen zu.
Einmal im Grundgesetz verankert, verpflichtete das Gleichheitsstatut die staatlichen Organe zur politischen Weichenstellung. Das Karlsruher Verfassungsgericht durchforstete in fast fünfzig Jahren Rechtsprechung zahlreiche Gesetze und Verordnungen, entrümpelte sie von allerlei nunmehr Unerwünschtem wie den Feuerwehrabgaben für Männer oder dem Nachtarbeitsverbot für Frauen, sorgte für Chancengleichheit von HochschulbewerberInnen, erlaubte es Frauen, ihren Namen mit in die Ehe zu nehmen, und vieles andere mehr.
Für Deutschlands Frauen ist also alles prima gelaufen, scheint es. Doch allerorten sind nur Klagen und Kritik zu hören. Der Publizistin Katharina Rutschky drängte sich beim stimmungsauslotenden Rückblick auf fünfzig Jahre Bundesrepublik sogar der Eindruck auf, „daß das weiblicherseits erlittene Unrecht immer krasser geworden ist, je mehr versucht wurde, es zu beheben“.
Mögen mittlerweile in Deutschlands Berufswelt viele erfolgreiche, unabhängige und gutbezahlte Frauen „ihren Mann“ stehen, mögen sich auch das Verhalten in der Öffentlichkeit und die Rhetorik zwischen den Geschlechtern verändert und mag sich nach dreißig Jahren Frauenbewegung auch im Privaten ihre zivilisatorische Wirkung entfaltet haben – irgend etwas fehlt dennoch nach einem halben Jahrhundert demokratischer Grundordnung in Deutschland.
Schulterzucken und soziologische Erklärungsversuche löst die Tatsache aus, daß Frauen sich an der Gestaltung dieser Demokratie bei weitem nicht in dem Maße beteiligen, wie sie könnten und sollten. Nicht nur im Bundestag und auf der Regierungsbank sucht man ihre Teilhabe an politischer Macht vergeblich. Auch auf kommunaler und auf Landesebene sieht es kaum besser aus. Zwischen Konstanz und Flensburg genügt ein Blick in Gemeinderäte, Versammlungen und Parlamente, um zu sehen, was Statistiken in Zahlen ausdrücken: Die gleichberechtigte Partizipation von Frauen findet nicht statt. Die Politik der Republik ist männlich.
Welche Voraussetzungen braucht eine Gesellschaft, damit alle, die in ihr leben – Frauen und Männer, Zugewanderte und Eingeborene, Homosexuelle und Heteros, Alte und Junge, Minderheiten und Mehrheiten – gleichberechtigt mitbestimmen? Verlangen die sich auflösenden Strukturen in der globalisierten Welt nicht geradezu danach, daß alle gesellschaftlichen Potentiale genutzt werden und Männer und Frauen politisch zusammenarbeiten? Wie soll auf den Wertewandel reagiert, wie auf diesen Prozeß im Sinne der Geschlechterdemokratie Einfluß genommen werden?
Solche Fragen beschäftigen weder die zeitgenössische politische Theorie noch die Praktiker. Diskussionen um die gerechte Verteilung von Erwerbs- und Familienarbeit zwischen den Geschlechtern lösen angesichts der Erkenntnis, daß es Vollbeschäftigung nicht mehr geben wird, Ratlosigkeit aus.
Da scheint ein Arrangement, bei dem Er scheinselbständiger Multimedia-Designer und Sie hauptberuflich Mutter ist, eine geglückte Lebensplanung zu sein. Weil es mit dem klassischen Durchwursteln als Zukunftsstrategie nicht getan ist, wollen sich ab kommendem Mittwoch rund achthundert Frauen und Männer auf Einladung der Bundeszentrale für politische Bildung im Berliner Haus der Kulturen mit der Geschlechterdemokratie im 21. Jahrhundert befassen.
Mehr noch als um eine Bilanz soll es um die neuen Herausforderungen gehen. „Wir wollen schauen, was Frauen tun können, um politisch mehr teilzuhaben. Und was vielleicht auch die Kinder und Männer davon haben, wenn hier nicht mehr nur Demokratie light praktiziert wird“, erklärt Monika Wolff, Frauenreferentin der Landeszentrale für politische Bildung in Niedersachsen.
Wie Monika Wolff sind auch die übrigen Veranstalterinnen der Überzeugung, daß Demokratie als Gesellschaftsform mehr politische Partizipation von gesellschaftlich benachteiligten Gruppen als bisher zuläßt.
Voraussetzung dafür ist, daß eine Neubewertung politischer Teilhabe erfolgt: daß Mitarbeit in kleinen Gruppierungen, Initiativen und Organisationen nicht nur als Ventil eines sozial schlechten Gewissens und ehrenamtlicher Zeitvertreib unterforderter Hausfrauen angesehen wird, sondern als gelebte Demokratie einer facettenreichen Gesellschaft verstanden und respektiert wird.
Grundproblem der Zusammenarbeit in politischen Gremien, so Monika Wolff, seien die männlich geprägten Rituale, Normen und Werte. Ihre Erfahrungen mit derlei Hemmnissen und Schwierigkeiten sammelt Wolff an der Basis. Sie bietet in Hannover Kommunikationstraining für Frauen und Männer in der Gemeindepolitik an.
Um für ausgewogene Geschlechterverhältnisse in ihren Kursen zu sorgen, werden Anmeldungen nur paarweise angenommen. „Die Männer kommen natürlich, um ihre Kommunikation zu verbessern, die Frauen aber oft, weil sie das Geschlechterverhältnis thematisieren wollen.“ Ein Interessenkonflikt, den Wolff in ihrer politischen Bildungsarbeit zu lösen versucht, indem sie die unterschiedlichen Kommunikationsstrategien zur Sprache bringt.
Männer sind provokanter und sprechen eher eine „Unabhängigkeitssprache“. Frauen hingegen stellen Fragen und kommunizieren beziehungsorientiert. Etwa: „Wollen wir nicht...“ oder „Wäre es nicht besser...“, berichtet die Referentin. Eine Sprechweise, die Männern signalisiert: Die weiß nicht, was sie will!
Damit Frauen sich von dem zuweilen rauhen Klima in den Männerrunden der Politik nicht abschrecken lassen, sei es wichtig, so Monika Wolff, geschlechtsspezifische Rituale als solche erkennen zu lernen. Eine Diskussion zum Beispiel verstünden Männer als rhetorischen Wettstreit, aus dem ihrer Ansicht nach etwas Produktives herauskommt – ein Gesprächsklima, das viele Frauen als aggressiv empfinden.
Kommunikationsstrukturen sind auch das Thema von Heidemarie Wünsche- Pietzka von der Bonner Vereinigung „Strategie21“, die auf dem Berliner Kongreß die Möglichkeiten geschlechterdemokratischer Beteiligungsformen im Internet ausloten will. Bietet das weltweite Netz als ein urdemokratisches Medium Frauen auch neue Chancen in der Politik?
Eine von Wünsche-Pietzka kürzlich organisierte Online-Frauenkonferenz zeigte zunächst einmal, daß sich Frauen im Vergleich zu den technologiebegeisterten Männern das Medium Internet noch gar nicht richtig erobert haben. Nur 35 Prozent der InternetnutzerInnen in Deutschland sind weiblich. Und das Interesse, über den Computer weiblich zu „netzwerken“, ist bislang gering. Manche ost- und westdeutschen Teilnehmerinnen der Online-Konferenz hatten das Internet für ihre Arbeit sogar noch nie benutzt.
„Wir leben aufgrund der neuen Informationstechnolgien in einer Zeit, in der viele Fragen aufgeworfen werden. Und diese Fragen kristallisieren sich wunderbar an der Geschlechterdebatte heraus“, erklärt Petra Grüne von der Bonner Bundeszentrale für politische Bildung. Daß das Grundgesetzjubiläum in diesen Diskurs falle, sei ein willkommener Anlaß, sich mit dem Stand der Geschlechterdemokratie zu befassen.
Unverständlich ist es der Berliner Soziologin Halina Bendkowski, „wie sich die halbierte Demokratie weigert, sich ihrer selbst demokratisch anzunehmen“. Sie empfiehlt den Frauen mehr aggressiven Aktivismus. Als Schöpferin des Begriffes „Geschlechterdemokratie“ ist für sie Feminismus weiterhin die notwendige Kritik am Patriarchat als Herrschaftsverhältnis. Strategie und Ziel der Geschlechterdemokratie, so Bendkowski, müsse auch heute der Herrschaftsabbau sein.
Der Behauptung, daß die Frauenbewegung bei der politischen Partizipation versagt habe, widerspricht Bendkowski energisch. Die Frauenbwegung sei mit dem Anspruch der Demokratisierung der Demokratie völlig überfrachtet. Die Frau- Mann-Kinder-Frage müsse von einer sozialen Bewegung angegangen werden, von politisch Engagierten, die nicht bereit seien, die Statistik der sozialen Deklassierung hinzunehmen.
Von der neuen Regierung erhofft sie sich allerdings keine Impulse: Die „sozial idiotisierte, global palavernde Gewinnerallianz“ habe sich die „Assistenz von professionellen Frauen für das soziale ,Gedönse' (Gerhard Schröder) quotengesichert“. Die etablierten Politikerinnen verhielten sich gegenüber den Erfordernissen der Geschlechterdemokratie bestenfalls ignorant.
Ihre provokanten Thesen wird die Feministin am Freitag bei einer großen Podiumsdiskussion gemeinsam mit dem Politologen Peter Grottian von der Freien Universität Berlin, der SPD-Politikerin Renate Schmidt und anderen ExponentInnen der Demokratiedebatte diskutieren.
Einerseits erfreulich, doch auch „skandalös“ findet Bendkowski, daß gerade die Institutionen der politischen Bildung dem Thema der Geschlechterdemokratie erst jetzt, zum Grundgesetz-Jubiläum, eine Großveranstaltung widmen. Wenig überrascht sie hingegen, daß von den rund achthundert Anmeldungen zur Kongreßteilnahme nur achtzig von Männern eingereicht wurden.
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