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Stimmen von Volk und Führer

■ Eine Konferenz im Einstein Forum beschrieb die Kulturgeschichte der Stimme als eine andere Geschichte des menschlichen Bewußtseins

Seit der Antike gilt der Sehsinn als der wichtigste Sinn des Menschen. Im Spannungsfeld zwischen Erkenntnismöglichkeit und Manipulationsgefahr ist er, zusammen mit den Bildmedien, entsprechend prominent erforscht worden. Die Akustik dagegen blieb eher ein Randgebiet für musikwissenschaftliche Experten – zu Unrecht, wie am vergangenen Wochenende bei einer Konferenz zur „Medien- und Kulturgeschichte der Stimme“ in Potsdam deutlich wurde.

Sigrid Weigel vom Einstein Forum, Friedrich Kittler und Thomas Macho (beide Humboldt-Professoren) hatten eingeladen, sich mit der Wirkungsmacht der Stimme im politischen wie philosophischen Sinne auseinanderzusetzen. Schließlich sei sie das Medium einer Demokratie, worauf schon das Wortfeld (Stimmrecht, Abstimmung, Volkes Stimme etc.) verweise.

Welche sozialen und psychologischen Strukturen daraus hervorgehen, wurde an einzelnen Zusammenhängen – etwa von mündlicher Verhandlung und geschriebenem Gesetz, von Lust- und Befehlsgeschrei – in den Vorträgen analysiert. Hans Georg Nicklaus setzte bei der Musiktheorie von Jean Jacques Rousseau im 18. Jahrhundert an. Rousseaus polemischen Feldzug gegen die Harmonielehre stellt er als verkappten Angriff auf die herrschende Gesellschaftsordnung heraus. Das Ideal einer einfachen, „natürlichen“ Melodie wird zur Denkfigur für die einmütig erhobene Stimme des Volkes. In Diderots Enzyklopädie findet dies seinen bereits kaum mehr verhüllten revolutionären Widerhall: „Die Freiheit der Musik setzt die Freiheit zu empfinden voraus; die Freiheit zu empfinden zieht die Freiheit zu denken nach sich. Wir müssen demnach die Oper lassen, wie sie ist, wenn wir den Staat erhalten wollen.“ Mit der gleichen Intention sollten später Marx und Brecht gegen das Musikspektakel argumentieren.

Rousseaus Ideal der natürlichen, unverfälschten Stimme war jedoch selber nichts anderes als eine neue Machtrhetorik, wie Ursula Geitner vor einigen Jahren in ihrer hervorragenden Studie „Die Sprache der Verstellung“ nachgewiesen hat. Claudia Schmölders wies in Potsdam auf die Gefahren hin, die in der kaschierten akustischen Gewalt liegen können. Sie zeichnete das „Motiv der stummen Effizienz“ nach, auf das nationalsozialistische Redner ihr Publikum zu konditionieren suchten – eine automatische Gehorsamsstruktur, die sich in einem subtilen Kommunikationsvakuum gerade im lautesten Gebrüll Hitlers herausbildete. Nicht nur der Blick, so könnte der Schluß lauten, auch der Schall kann vollkommen deformierende Projektionen schaffen.

Wie die Schallgeschichte im weiteren Sinne die Bewußtseinsparameter verschoben hat, beschrieben die medientechnisch ausgerichteten Vorträge. Friedrich Kittler etwa interpretierte den Stummfilm als einschneidendes Ereignis in der Stimmgeschichte. Quasi als Gegenstück zum Hitler- Gebrüll, das durch pure Lautstärke Kommunikation verunmöglichte, kann man das konsequente Schweigen im Stummfilm als bewußtseins- und in der Folge stimmverstärkendes Medium begreifen. Henrike Thomsen

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