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KommentarJe schneller, desto teurer

■ SPD-Idee zum Expreß-Abi nicht durchdacht

Es sieht aus wie ein gelungener Schachzug zum Wahlkampfauftakt. Statt sich weiter mit der CDU in einem Kleinkrieg um einzelne fünfte Gymnasialklassen zu verschleißen, überholt die SPD den Koalitionspartner gleich bei seinen eigenen Forderungen – und propagiert das Abitur nach zwölf Schuljahren. „Internationalisierung“ heißt das Schlagwort, das diese Idee mit dem nur scheinbar gegensätzlichen Beharren auf sechs Grundschuljahren auf einen Nenner bringen soll. Fraktionschef und Spitzenkandidat, so scheint es, haben der zögerlichen Schulsenatorin das Zepter entwunden und ihr das Leistungsethos des neuen Schröder-Deutschland aufgezwungen.

Doch ganz so einfach, wie führende Sozialdemokraten sich das vorstellen, läßt sich die Schulzeit nicht verkürzen. In der Schule ist die ökonomisch-physikalische Grundregel nicht außer Kraft gesetzt, nach der auch die Bahn ihre Fahrpreise kalkuliert: Je schneller, desto teurer. Das hatte schon Stahmers Schulreformexperte Tom Stryck haarklein vorgerechnet, als SPD-Fraktionschef Klaus Böger vor zwei Jahren schon einmal eine kürzere Schulzeit gefordert hatte. Denn kurz zuvor hatten sich die Kultusminister aller Bundesländer auf eine Mindeststundenzahl geeinigt, die bis zum Abitur zu absolvieren ist. Ist sie in einem kürzeren Zeitraum zu bewältigen, müssen die Schüler auch nachmittags büffeln. Das geht nur mit einer kostenintensiven Ganztagsschule.

Womöglich sind weniger die Kosten das Problem, sondern eher die Mentalität. Wollen die Sozialdemokraten die Berliner Schulen wirklich „internationalisieren“, dann müssen sie den Unterrichtsbetrieb insgesamt modernisieren und professionialisieren. Betreuung vom Morgen bis zum Nachmittag, das bedeutet eben auch neue Arbeitszeitmodelle für die Lehrer, neue Formen der Unterrichtsvorbeitung oder Hausaufgabenbetreuung.

Effizient organisiert muß das nicht unbedingt teurer werden als der deutsche Sonderweg, der Lehrer wie Schüler zum nachmittäglichen Einzelkämpfertum zwingt. Aber billiger wird es gewiß auch nicht, und kurzfristig geht es erst recht nicht. Der Rest ist – mehr oder weniger gut inszenierter – Wahlkampf. Ralph Bollmann

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