: „Anzeichen, daß sich Kräfte verselbständigen“
■ Siegfried Martsch, einer der besten PKK-Kenner, schlägt Kurdistankonferenz auf Europaebene vor
taz : Herr Martsch, Sie befürchten eine „kurdische Rote Armee Fraktion“. Übertreiben Sie nicht?
Siegfried Martsch: Bekanntlich gehöre ich nicht zu den Schwarzmalern. Es gibt aber Anzeichen dafür, daß sich Kräfte in der Peripherie der PKK verselbständigen, so daß die Führung keinen Einfluß mehr auf sie nehmen kann. Das ist sehr gefährlich.
Wäre die PKK zu Terroraktionen hierzulande fähig?
Die Kader sind sehr gut ausgebildet, die Organisation verfügt über eine hervorragende Logistik und auch über Waffen, die für Anschläge notwendig sind. Und, was nicht unterschätzt werden darf, sie verfügt über Anhänger, die notfalls bei solchen Aktionen mit in den Tod gehen.
Der SPD-Innenpolitiker Penner fordert, der Verfassungsschutz müsse die PKK durchdringen.
Das wird gar nicht gelingen, allerhöchstens nachrangig. Aktuell diskutieren wir ja leider das Kurdenproblem zu sehr unter polizeitaktischen Gesichtspunkten.
Es sind aber Gewalttaten verübt worden.
Natürlich muß man reagieren, wenn die öffentliche Sicherheit bedroht ist. Das sollte man aber den Spezialisten der Polizei überlassen. Die Kurdenfrage selbst aber sollte, muß politisch angegangen werden. Für mich ist es geradezu schmerzlich, daß über die PKK hinaus zur Zeit in der deutschen Debatte die anderen demokratischen, in der Türkei ebenso verbotenen kurdischen Organisationen vergessen werden. Diese müssen wir stärken.
Gestern hat sich Staatsminister Ludger Volmer im Bundestag zur Kurdenfrage geäußert, Außenminister Joschka Fischer schweigt seit Tagen. Sind Sie mit der Zurückhaltung Fischers einverstanden?
Er ist sicherlich mit dem Kosovo-Problem mehr als ausgelastet.
Aber als Außenminister und als derzeitiger EU-Ratsvorsitzender ist Fischer mehr als andere seiner europäischen Kollegen aufgefordert, eine politische Lösung herbeizuführen.
Wohin steuert die PKK?
Das ist schwer zu sagen. Seit eineinhalb Jahren hat die Führung versucht, einen politischen Dialog mit den europäischen Regierungen zu führen. Darauf haben insbesondere Berater des PKK-Chefs Abdullah Öcalan gedrängt. Dieser Dialog war durchaus erfolgreich, wie die Gespräche mit der alten Bundesregierung oder mit der Bundesanwaltschaft gezeigt haben. So sind PKK-Kader in der Bundesrepublik in gerichtlichen Verfahren vergleichsweise glimpflich davongekommen.
Gibt es auch Gespräche mit der jetzigen Bundesregierung?
Nach meinem Wissensstand nicht.
Sind Sie Vermittler?
Nein. Definitiv nicht.
Soll die Bundesregierung Gespräche mit der PKK suchen?
Nein. Offizielle Gespräche mit der PKK abzuhalten, inbesondere nach den letzten Vorfällen, kann sich ein Rechtsstaat nicht leisten. Notwendig wäre aber, auf indirekte Art und Weise den gemäßigten Kräften innerhalb der PKK und den anderen kurdischen Kräften Signale zu senden. Eine Möglichkeit wäre, auf europäischer Ebene einen Vorstoß hin zu einer Kurdistankonferenz zu machen oder nachdrücklich die Türkei zur einer Änderung ihrer Kurdenpolitik zu bewegen. Interview: Severin Weiland
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