Im Werbeparadies

Immer mehr Fernsehwerbung – dafür hat eben die Politik den Weg geebnet. Wie aber sieht es bei einem Sender aus, der den Traum aller TV-Werber schon verwirklicht hat und nichts als Reklame sendet?  ■ Von Arno Frank

Gespenstisch leer ist es in diesem Fernsehstudio. Im Schatten, halb von Planen verdeckt und mit Gerümpel zugestellt, schlummert eine Gartenlaube, daneben wartet blitzblank eine Einbauküche auf ihren Einsatz. Freundlich ausgeleuchtet in ihrer ganzen bonbonfarbenen Pracht ist gegenwärtig nur die Kulisse für „aktuelle Frühjahrsmoden“. Vor der Kamera haben sich drei Mannequins aufgebaut. Geschöpfe von beruhigend durchschnittlicher Attraktivität, die sandfarbene Leibchen und gelbe Blusen zur Schau tragen. Und die fallen offenbar „besonders um die Hüften herum sehr schön, ein fließender, ein weicher, ein warmer Stoff“, wie die Moderatorin Andrea Lutz dazu von ihrem Monitor abliest. Jetzt heißt es Ruhe bewahren, denn H.O.T. ist auf Sendung. 365 Tage im Jahr, 24 Stunden am Tag, 16 davon live und kaum eine Sekunde ohne die besänftigenden Monologe der Moderatoren und Moderatorinnen.

Wir sind in Ismaning, einer Gemeinde im Speckgürtel Münchens. In einem Klinkerbau an der Bundesstraße residiert H.O.T. (Home Order Television), Tür an Tür mit Antenne Bayern und DSF. Dahinter erhebt sich wuchtig und weiß des Senders ganzer Stolz: das erste Fernsehstudio Deutschlands, in dem ausschließlich Werbung produziert wird. Der feuchte Traum jedes TV-Werbers ist ausgerüstet mit modernstem Equipment, digitalen Aufzeichnungsmaschinen, ferngesteuerten Kameras und riecht nach neuem Linoleum. 21 Millionen Mark hat das televisionäre Fließband gekostet, das rund um die Uhr „industriell gefertigte Sendeminuten“ ausspuckt, wie Georg Kofler schwärmte. Der Pro7-Geschäftsführer aus dem Umfeld des Medienherrschers Leo Kirch ist mit 15 Prozent an H.O.T. beteiligt, Kirchs Sohn Thomas hält ein weiteres Drittel. Der Rest des Kuchens geht an den amerikanischen Multi HSN und das Versandhaus Quelle. Und schon sieht es aus, als zahlten sich die Investitionen aus: Im Oktober 1995 ging der Kanal erstmals auf Sendung, seitdem wuchs die Zahl der Mitarbeiter von 20 auf 500. Allein von 1997 auf 1998 steigerte sich der Umsatz von 82 auf 199 Millionen, dieses Jahr sind 370 Millionen Mark prognostiziert. Viele Zahlen, über die sich Geschäftsführer Andreas Büchelhofer freuen darf, denn sie sind schwarz. Dafür ist er ja auch von Österreichs öffentlich- rechtlichem ORF zu H.O.T. gegangen. Zufrieden resümiert auch Pressesprecherin Annette Holzapfel die allgemeine Befindlichkeit : „Wir haben es geschafft.“

In ihrem Büro, ganz Glas und Stahl, deklamiert die Hanseatin die vielen Vorteile, die den Fernsehsender von einem Katalog aus Papier unterscheidet. „Wenn's schneit“, sagt sie, könnten sie sogar „Schlitten verkaufen.“ Und wie sie da mit ausgebreiteten Armen vor dem Fenster sitzt, an dem die Flocken vorbeitreiben, mag man ihr das sogar glauben. Derweil schnurrt müde das Faxgerät. Und wie gerufen steht eine bekümmerte Assistentin in der Tür: „Die Christine muß unbedingt noch einmal den Trailer besprechen, das hat nicht geklappt!“ Sollte aber klappen, denn Großes steht bevor: „H.O.T. wird erstmals eine eigene Produktreihe vorstellen, eine Kosmetikserie von Christine Kaufmann.“ Die ätherische Actrice gehört zu einer ganzen Reihe semiprominenter Gesichter, die den feilgebotenen Produkten ihren Ruf leihen: Margot Hellwig preist beispielsweise die Vorteile einer Friteuse, und auch Anja Kruse, Peggy March oder Heino verdingten sich als Einkaufsberater bei H.O.T. Doch das sind die Highlights. Gewöhnlich führt ein Pool von 20 Moderatoren durch ein Programm, um den Damen im „Schönheitssalon“ den Vormittag, den Herren mit „Auto & Motorrad“ den Feierabend zu versüßen. Werbung, bizarre Welt, wird nur durch Werbung unterbrochen.

Selbst wenn ein Komet von der Größe des Egos von Georg Kofler auf die Erde zuraste – er wäre dem Sender nicht mal eine Einblendung wert. Das könnten böse Menschen nämlich als Journalismus auslegen. Und den muß H.O.T. meiden wie der Teufel das Weihwasser, weil der geltende Staatsvertrag im Rundfunk nur eine einzige Stunde Teleshopping am Tag zuläßt. Das Maß haben die Ministerpräsidenten der Länder bei ihrer Konferenz am Donnerstag (siehe Bericht auf der rechten Seite) zwar generös ausgeweitet, bei der Zulassung jedoch galt das alte. Deshalb hatte sich der findige bajuwarische Staatsminister Erwin Huber, dem privaten Fernsehen gewogen, für eine andere Lösung stark gemacht: Die wiederum Huber gewogene bayerische Lizenzbehörde BLM schloß mit den Krämern einen „öffentlich-rechtlichen Vertrag“, der H.O.T. nicht als Rundfunk, sondern als „Mediendienst“ klassifiziert – keine Probleme bei der Zulassung. Das Beispiel machte Schule in anderen Bundesländern. In Nordrhein- Westfalen schloß, ein Jahr nach H.O.T., der Konkurrent QVC mit der Landesmedienanstalt für Rundfunk (LfR) einen ähnlichen Vertrag. Andreas Büchelhofer quält sich daher mit dialektischen Definitionen. Bei H.O.T. träfen „Abläufe und Professionalität eines Handelsunternehmens auf die Professionalität eines Fernsehsenders, was die technische und ästhetische Qualität der Bilder betrifft.“ Und dann betont er: „Das muß kein Widerspruch sein.“

Naturgemäß aber will so ein „Katalog aus bewegten Bildern“ permanent kommentiert und aus jeder Perspektive beäugt werden. Da aber bisweilen erläutert wird, was keiner Erläuterung bedarf, bramarbasieren die tapferen ModeratorInnen oft im Leerlauf vor sich hin. „Sehen Sie sich das an“, begeistert sich eine Britta Schwalenberg, „diese Kette hat zwei Steine! Wir haben es hier mit einem Zitrin zu tun. Die Krieger des Römischen Reiches trugen ihn als Glücksbringer, er ist ein Glücksstein, der Glücksstein des Zwillings. Sie wissen ja, zwei Herzen schlagen in des Zwillings Brust.“ Manchmal speist hausbackene Esoterik den Redefluß, mal mäandert er ins Philosophische – etwa, wenn H.O.T.-Moderatorin Edith- Maria Ploner räsoniert: „An einem ganz bestimmten Punkt fragt sich jeder Mensch: Woher komme ich, wohin gehe ich, wo liegt der Sinn?“

Nur unauffällig eingewebte Details trennen die frei flottierende Rede vom bloßen Geräusch: „Dieser Ring ist wunderschön geschliffen, fast eine Vollgoldschiene.“ Tja, aber eben nur „fast“. Hat das jemand gehört? Nicht jeder der moderierenden Verkäufer nutzt seine Freiheiten so subversiv wie Martin Leimbach, dem man „mit einer eigenen kleinen, aber feinen TV-Show eine große Freude machen könnte“. Bis dahin allerdings hantiert er mit einem „Nackenhörnchen“ und streut Zynismen: „Das stützt ihr Genick, wenn Sie zu Hause vor dem Fernseher mal einnicken.“

Wer dann mitten in der Nacht wieder aufwacht und – etwa von einem „Ersatzschwamm für das echt saubere Wischvergnügen“ überrumpelt – zum Hörer greift, wird selbst zur Unzeit noch von gutgelaunten Menschen erwartet: „Willkommen bei H.O.T.! Mein Name ist Martin Berger, guten Morgen!“ Die Mitarbeiter des Call-Centers übermitteln die aktuellen Bestandsdaten der jeweils ausgelobten Produkte in die Sendung, wo die schwindenden Vorratszahlen live eingeblendet werden. Und weil das flimmernde Schaufenster per Astra1D und das Kabelnetz theoretisch von über 18 Millionen Haushalten eingesehen werden kann und bisher knapp eine Million Kunden das hotte Angebot des Senders nutzten, läuft gegebenenfalls am unteren Bildschirmrand ein wichtiger Textstreifen: „Bitte nicht mehr anrufen, die Leitungen sind überlastet.“

Da ist es dann kein Wunder, daß der agile Geschäftsführer von der Zukunft schwärmt, von E-Commerce, von einer Fusion aus digitalem Fernsehen mit digitalem Netz und der daraus resultierenden „pole position“ seines Unternehmens auf dem europäischen Markt – zumal Büchelhofer, wie er sagt, selbst gerne zum Telefon greift und bei H.O.T. ordert: „Was meinen Sie, warum mein Anzug so schön gebügelt ist?“