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An den Rändern des Atomausstiegs

■ Brokdorf soll 2002 auslaufen und ein Zwischenlager bekommen. Umweltverbände beraten über Teilnahme an Atom-Konsensrunde

Hamburg (taz) – Als in Brokdorf die Steine flogen und Polizisten mit Wasserwerfern auf Atomkraftgegner zielten, war Christel Happach-Kasan 36 Jahre alt. Die Erinnerungen an das Jahr 1986, die Demonstrationen gegen den Atomreaktor an der Unterelbe und die Krawalle in Schleswig- Holstein und Hamburg kamen am Donnerstag abend, 13 Jahre danach, wieder hoch. „Was“, giftete die FDP-Politikerin im Kieler Landtag den schleswig-holsteinischen Energieminister Claus Möller (SPD) an, „was bringt Sie dazu, Schleswig-Holstein geradezu anzubieten? Soll denn die Westküste ein Atommüllager bekommen?“

Sie soll. Das rot-grün regierte Schleswig-Holstein hat sich am Donnerstag klar für ein norddeutsches Zwischenlager ausgesprochen. Es soll den Schrott aus den drei schleswig-holsteinischen AKWs Brokdorf, Brunsbüttel und Krümmel aufnehmen. „Wer den geordneten Ausstieg will, muß für einen Übergangszeitraum eine Zwischenlagerung akzeptieren“, forderte Minister Möller und wurde sodann konkret: Zusammen mit Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) „habe ich Brunsbüttel als Standort vorgeschlagen“. Das dortige AKW gehört „zu den ältesten Deutschlands“ und könne „aus Sicht der Landesregierung im Jahr 2002“ vom Netz gehen. Somit gebe es Platz. Die Hamburgischen Electricitätswerke (HEW), die das AKW Brunsbüttel mit dem Hannoveraner Konzern PreussenElektra betreiben und keinerlei Eile sehen, den Meiler 2002 abzuschalten, „begrüßten“ gestern „die Initiative des Ministers, ein Zwischenlager in Standortnähe zuzulassen“.

Möller will die Atomkippe nur unter bestimmten Bedingungen genehmigen: Nur wenn die Lagermöglichkeiten in den AKWs selbst sowie die vorhandenen Zwischenlagerkapazitäten in Ahaus und Gorleben „ausgeschöpft“ seien, könne in Brunsbüttel eingelagert werden. In der Region werden nach Schätzung von AKW-Betreibern und Landesregierung in den kommenden fünf Jahren etwa ein Drittel der rund 1.800 AKW-Arbeitsplätze wegbrechen, sollte Brunsbüttel schließen. „Das sind dann Ihre Arbeitslosen!“ höhnte die Kieler CDU-FDP-Opposition.

IG-Metall-Chef Klaus Zwickel sorgte sich gestern in Frankfurt am Main ebenfalls um die Arbeitsplätze der Arbeiter in den AKWs. Er forderte neue Arbeitsplätze für die Beschäftigten nach dem Ausstieg aus der Atomenergie. Die IG Metall unterstütze den schnellstmöglichen Verzicht auf die Atomkraft, lehne aber einen Sofortausstieg als unrealistisch ab. Die IG Metall werde einen Arbeitskreis einberufen, in dem Beschäftigte der Atomwirtschaft und aus Betrieben für alternative Energien ihre Erfahrungen für neue Konzepte einbringen sollten.

Die Gewerkschafter dürfen auf jeden Fall mit dem Kanzler drüber reden. Schließlich werden sie neuerdings ebenso wie Umweltverbände zu den Konsensgesprächen hinzugezogen. Bisher redete der Kanzler nur mit den Stromkonzernchefs. Ob die Umweltschützer überhaupt kommen, ist aber unklar: Gestern jedenfalls diskutierten sowohl BUND als auch Greenpeace und Robin Wood noch über diese Frage. Einzig der Naturschutzbund äußerte sich zustimmend. Aber der kann auch schlecht absagen, weil er immer eine Beteiligung der Umweltverbände an den Ausstiegsgesprächen gefordert hat. Heike Haarhoff

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