: Öcalans Anwälte erleben den Rechtsstaat à la Türkei
■ Ein Anwalt Öcalans festgenommen, der andere gibt auf massiven Druck hin sein Mandat zurück. Anwaltsgespräche mit dem PKK-Chef vom Haftrichter aufgezeichnet
Istanbul (taz) – „Wir werden die Verteidigung Abdullah Öcalans nicht übernehmen. Wir werden mit dem Tode bedroht. Wir sind in Lebensgefahr.“ In einem emotional hoch aufgeladenen Auftritt gab gestern der Anwalt Ahmet Zeki Okcuoglu bekannt, daß er sich unter den gegebenen Umständen nicht in der Lage sieht, die Verteidigung von PKK-Chef Öcalan zu übernehmen. Sein Kollege Osman Baydemir konnte sich selbst dazu nicht mehr äußern. Er wurde auf dem Weg zur Pressekonferenz festgenommen, unter welcher Beschuldigung, blieb zunächt unbekannt.
Ahmet Zeki Okcuoglu war am Donnerstag erstmals mit Abdullah Öcalan, der seit dem 16. Februar auf der Insel Imrali gefangengehalten wird, zusammengetroffen. Nach Aussagen des Anwalts entsprach dieses Treffen in keiner Weise den Umständen, die ein fairer Prozeß gebieten würde. Nicht nur ein Haftrichter sei anwesend gewesen, was nach den Vorschriften noch legal gewesen wäre. Auch zwei maskierte Soldaten und ein Sekretär des Haftrichters, der das Gespräch zwischen den Anwälten und Abdullah Öcalan aufzeichnete, überwachten das Gespräch.
Öcalan habe 20 Minuten mit ihnen gesprochen und sich dabei erkundigt, wie die Reaktionen auf seine Festnahme seien. Er sei von der Außenwelt vollständig abgeschnitten. Okcuoglu berichtete, daß Öcalan sich rund um die Uhr in dem Verhörraum aufhalten müsse. Der Anwalt forderte, den PKK-Chef in ein normales Gefängnis zu bringen.
Über die Aussagen, die Öcalan nach Angaben der Staatsanwaltschaft bisher gemacht hat, sei nicht gesprochen worden. Öcalan habe einen „matten, unkonzentrierten“ Eindruck gemacht und seine Gesprächspartner kaum angeschaut. Nach 20 Minuten habe er das Gespräch von sich aus abgebrochen.
Öcalan habe sie gefragt, ob sie ihn verteidigen würden. Eine förmliche Bevollmächtigung habe nicht stattfinden können, weil diese von einem Notar hätte beglaubigt werden müssen. Die Entscheidung der Anwälte, von der Verteidigung Öcalans zurückzutreten, fiel offenbar vor allem unter dem Eindruck physischer Bedrohung. Zweimal wurden sie in den letzten Tagen im Küstenort Mudanye, von wo man nach Imrali übersetzt, von aufgestacheltem Mob angegriffen. Ihr Auto wurde mit Steinen beworfen. Sie erhielten Todesdrohungen. „Der türkische Staat“, so Okcuoglu, „will uns nicht schützen.“ Niemand könne unter diesen Umständen von einem fairen Prozeß sprechen.
Wie nun ein Rechtsbeistand für Öcalan gewährleistet werden kann, ist unklar. Wenn sich tatsächlich kein Verteidiger mehr findet, wird das Gericht einen Pflichtverteidiger beiordnen. Offiziell ist das Verhör Öcalans jetzt abgeschlossen, bis Mitte April soll die Anklage zusammengestellt werden. Ein Termin für den Prozeßbeginn steht noch nicht fest. Jürgen Gottschlich
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