Illegale Grenzgänger und Touristen

Nach der Kriminalisierung sächsischer Taxifahrer, die Flüchtlinge innerhalb der Bundesrepublik fuhren, selektieren jetzt auch bayrische Taxifahrer ihre Fahrgäste nach phänotypischen Merkmalen. Illegale, meint die Polizei, könne man am Äußeren erkennen  ■ Von Marina Mai

Die Grenze zwischen Železna Ruda und Bayrisch Eisenstein verläuft mitten durch das Bahnhofsgebäude. Auf der rechten Seite des Bahnhofes hat die bayrische Grenzpolizei ein Büro. Hier verkauft die Bundesbahn Tickets und gibt Fahrplanauskünfte per Computer. Auf der linken Seite kosten die Fahrkarten der tschechischen Bahn die Hälfte. Die Bahnhofskneipe steht auf deutscher Seite und wirbt mit böhmischer Küche. Das Grenzhäuschen ist unbesetzt, weil der bayrische Grenzbeamte gerade auf einen Schwatz beim tschechischen Zugschaffner ist. Inzwischen kann man ohne Paßkontrolle aus dem Böhmerwald in den Bayrischen Wald laufen. Hier beginnt Schengen-Land.

Einen Taxistand sucht man in Bayrisch Eisenstein, ein Fremdenverkehrsort mit knapp 2.000 Einwohnern, vergebens. Die Verkäuferin, die an Skiurlauber bayrische Dirndl, Tageszeitungen und Handtücher verkauft, reagiert verständnislos auf die Frage nach einem Taxi: „Gehen Sie doch zum Bahnhof. Dort ruft man ihnen ein tschechisches Taxi. Das ist viel billiger.“

Der nächste Taxistand in Deutschland ist in Zwiesel, mehr als 20 Kilometer entfernt. In der Stadt mit etwa 11.000 Einwohnern halten sich sechs Taxiunternehmen gegen die billigere tschechische Konkurrenz. Eines wird von Walter W. betrieben. Und er hat nachhaltige Erfahrungen mit dem Bundesgrenzschutz gemacht. Das war im vergangenen Sommer: „Ich wurde über Funk von einem Kunden, einem Deutschen, nach Eisenstein gerufen. Als ich ihn einsteigen ließ, bat er mich, ein paar Meter weiter auch seine Bekannten mitzunehmen. Die waren Ausländer.“ Walter W. übernahm den Auftrag. „Auf der Autobahn hat uns eine Zivilstreife des BGS rangewunken.“ Der Chauffeur und seine Kunden wurden kontrolliert. Das Ergebnis: Die zwei ausländischen Fahrgäste hatten kein gültiges Visum für Deutschland. Walter W.: „Sie wurden festgenommen. Ich auch.“ Der BGS hatte ihm vorgehalten, er hätte am Aussehen seiner Fahrgäste erkennen müssen, daß sie sogenannte Illegale seien. Für Walter W., der als Taxifahrer keine Befugnis hat, Pässe zu kontrollieren, ist diese Forderung „Schwachsinn hoch drei“. Das Gericht lehnte den Haftbefehl wegen Einschleusens ab. Nach 20 Stunden kam der Taxifahrer wieder frei.

Walter W. hat Glück, auf bayrische und nicht auf sächsische Richter gestoßen zu sein. In der Stadt Zittau im Dreiländereck Deutschland – Polen – Tschechien wurden vier Taxifahrer in vergleichbaren Fällen zu Haftstrafen zwischen zwölf und 20 Monaten verurteilt (vgl. taz vom 7.12.1998): Sie hatten Flüchtlinge, die zuvor illegal in die Bundesrepublik eingereist waren, von der Grenzstadt ins Landesinnere gefahren. Gegen den Zittauer Taxifahrer Klaus Wünschmann hatte das Amtsgericht Zittau die bisher höchste Freiheitsstrafe von 26 Monaten verhängt. Die Berufungsverhandlung am Landgericht Görlitz findet in der nächsten Woche statt. In Sebnitz (Sachsen), Forst und Guben (Brandenburg) wurden je ein Taxifahrer zu Bewährungsstrafen und Lizenzentzug verurteilt. Das Ergebnis: An der sächsischen Ostgrenze haben Ausländer keine Chance mehr, ein Taxi zu bekommen.

Ganz so rauh sind die Sitten im Bayrischen Wald nicht. Aber zwei bis dreimal pro Woche geraten auch die Zwieseler Taxifahrer in eine BGS-Kontrolle. Die Beamten verlangen die Papiere der Fahrgäste und schauen auch mal in den Kofferraum. Jedesmal, wenn ausländische Fahrgäste bei Walter W. mitfahren wollen, fühlt er sich in einer Zwickmühle, denn er kann Flüchtlinge weder von Skiurlaubern, tschechischen Tagespendlern noch von den Bewohnern des Zwieseler Asylbewerberheimes unterscheiden. „Wenn ich telefonisch von Ausländern gerufen werde, verständige ich gleich den BGS über Funk. Erst wenn er die Kunden kontrolliert hat, fahre ich sie.“ Vorbeugend hat sich Walter W. zu dieser „Vorsichtsmaßnahme“ entschlossen. Auch W.s Kollegen handeln so, „Was ist denn schlecht daran?“ fragt die Taxifahrerin Fuchs. „Wir können doch nicht die Asylanten alle reinlassen! Das kostet doch unser Geld.“ Taxiunternehmer Paternoster drückt es drastischer aus: „Der Grenzschutz ist doch dafür da, das Gesockse nicht reinzulassen. Und da rufe ich ihn eben an, wenn ich Verdächtige sehe.“

Der Sprecher des Bayrischen Taxifahrer Verbands, Max Herzinger, findet die Kooperation seiner Kollegen mit den Grenzschützern „sehr ungewöhnlich“.

Das Polizeipräsidium Regensburg spricht von „maximal drei polizeilich ermittelten Schleusungen durch Taxifahrer pro Monat“ in Niederbayern/Oberpfalz. Anklage wurde jedoch in weit weniger Fällen erhoben, wie die Staatsanwaltschaften in Regensburg und Deggendorf auf taz-Anfrage mitteilen. Die Polizei würde, so ihr Sprecher Max Stelzer, den Fahrern keinen generellen Verdacht gegen Ausländer abverlangen. „Wer mit schickem Anzug und Fotoapparat kommt und ins Hotel will, den kann ein Taxifahrer natürlich fahren.“ Einen Illegalen könne ein Taxifahrer „am Erscheinungsbild“ erkennen, meint der Polizeisprecher.

Probleme mit dem Bayrischen Grenzschutz haben Taxifahrer auch in anderen Regionen des Freistaates. Die Münchener Taxifahrer Peter Krebitz, Cengiz Kip und Hans-Peter Eiber berichten von immer häufigeren Kontrollen auf den Fernverkehrsstraßen von München nach Österreich in den letzten Monaten durch die im deutsch-österreichischen Grenzraum zuständige bayrische Landespolizei. Dabei sei es schon vorgekommen, daß eine Taxe innerhalb weniger Kilometer dreimal gestoppt wurde.

Der wohl spektakulärste Fall ist der eines 20jährigen österreichischen Chauffeurs. Der Berufsanfänger hatte im vergangenen November von der Taxizentrale in Innsbruck den Auftrag erhalten, drei Männer nach München zu fahren. Die Männer waren Iraker und hätten wie Skiurlauber ausgesehen. Kurz hinter der deutschen Grenze wäre das Taxi, so Taxiunternehmer Hans Meyer, der Arbeitgeber des Betroffenen, von der Grenzpolizei gestoppt worden. Die Fahrgäste hatten kein Visum. Meyer: „Mein Mitarbeiter, der erst zwei Wochen zuvor seinen Taxischein gemacht hatte, wurde festgenommen und saß 14 Tage in U-Haft.“ Im Januar wurde er durch das Amtsgericht Garmisch- Partenkirchen zu 14 Tagen Haft und 2.000 Mark Geldstrafe als Schleuser verurteilt. Jetzt ist er wegen desselben Vorfalls in Österreich erneut angeklagt. Meyer: „Für uns ist ein solches Verhalten ein Skandal. Hier in Innsbruck leben wir doch nur von Touristen. Und mein Kollege hat nicht mehr Geld genommen als den ganz normalen Fahrpreis.“