Beifall für die grünen Minister

Bei dem europäischen Kongreß der Grünen in Paris herrscht Konsens darüber, daß die Partei von der Opposition in die Verwaltung der Macht übergewechselt ist  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

„Sorry, folks“, sagt Joschka Fischer auf englisch von der Bühne herunter, „regieren bedeutet halt Realist sein.“ Aus dem halbvollen Saal kommt leises Murmeln. Eher amüsiert. Dann ergreift der deutsche Außenminister, der bei seinem knapp einstündigen Blitzauftritt vor dem Kongreß der Europäischen Grünen in Paris Jeans zu der eleganten Weste trägt, noch einmal das Wort. „Ich habe nur noch 24 Stunden Wochenende vor mir“, sagt er mit gesenkter Stimme. Anschließend müsser er nach Kanada „wegen des Tretminenverbotes“, dann nach New York City, „ein Treffen mit Kofi Annan. Die Uno ist ja auch sehr wichtig.“

Die grünen Delegierten verstehen, daß sie allein weiter an dem grünen Manifest arbeiten müssen. Fischer hat ohnehin mehr aus der Perspektive seines neuen Amtes denn der eines Grünen gesprochen. So sagte er beispielsweise, bei Kurdistan „muß ich sehr vorsichtig sein – als Außenminister und als Deutscher. Die PKK ist eine kriminelle Organisation. Und ein unabhängiges Kurdistan – das bedeutet Krieg. Wie auch beim Kosovo.“

Keine Zwischenrufe, keine offene Diskussion

Zwischenrufe gab es auch bei dieser Erklärung nicht. Erstens hätte das dem Geist dieses dreitägigen Kongresses, auf dem kein kritischer Ton laut wird, widersprochen. Und zweitens waren die KurdistanexpertInnen der Grünen nicht anwesend. Fast zeitgleich mit Fischers Auftritt in der „Cité des Sciences et de l'Industrie“ demonstrierten sie auf den Straßen von Paris mit PKKlerInnen für die Freilassung von Abdullah Öcalan.

Als Fischer den Saal verläßt, spenden die Delegierten ihm minutenlangen stehenden Applaus. Das Mikro übernimmt Daniel Cohn-Bendit, der andere Superstar dieses dreitägigen grünen Europa-Kongresses in Paris. Er hält eine kämpferische Rede gegen den Liberalismus, die in dem Satz gipfelt: „Wer nein zu Europa sagt, sagt ja zur Macht der Amerikaner.“ Auch zu diesem Satz in Großmachtlogik äußern die Delegierten ihre Skepsis erst später auf dem Gang.

Knapp 1.000 Personen aus ganz Europa und ein paar auch aus dem Rest der Welt sind zum Auftakt des grünen Europawahlkampes zusammengekommen. Sie wollen nicht öffentlich streiten, sondern sich mit der geballten Macht darstellen, über die die europäischen Grünen heute verfügen: 11 MinisterInnen in 7 europäischen Regierungen, 206 Abgeordnete in den nationalen Parlamenten, 27 im Europaparlament und Tausende VertreterInnen in allen möglichen Gremien und Komissionen. Das Fußvolk der knapp 300 Delegierten darf Fragen einreichen. Schriftlich. Die werden dann vom Podium verlesen. Eine offene Diskussion findet nicht statt.

Leidenschaft kommt auf dem Kongreß immer dann auf, wenn eineR der grünen MinisterInnen spricht. Dann füllt sich der Saal und brandet Beifall auf. Oder wenn der Spitzenkandidat der französischen Verts spricht, Cohn- Bendit, der bereits seit über zwei Monaten Wahlkampf betreibt, während seine PartnerInnen im Rest Europas noch gar nicht wissen, wen sie ins Rennen fürs Europaparlament schicken sollen.

Nicht gekommen, obwohl sie im Programm standen, sind die beiden anderen grünen Regierungsmitglieder aus Bonn, Jürgen Trittin und Andrea Fischer. Umweltminister Trittin, dessen Atomausstiegspläne im Atomstaat Frankreich für großen Wirbel gesorgt haben, läßt sich mit einer Haushaltsdebatte des Bundestages entschuldigen. An seiner Stelle wirbt Sprecherin Antje Radcke in Paris um Verständnis für die deutschen Grünen. „Wir wollen den Atomausstieg ganz dringend“, sagt sie, „aber nicht auf Kosten unserer französischen Freunde. Wir nehmen unseren Müll zurück.“ Die grüne französische Umweltministerin Dominique Voynet versichert: „Wir lassen keine Keule zwischen deutsche und französische Grüne treiben.“

Die deutschen Grünen „sind wichtig für uns“, sagt eine Delegierte aus Georgien, wo die Grünen die Umweltministerin stellen: „Ihre Regierungsbeteiligung gibt auch uns mehr Seriosität.“ Auch die junge Französin, Mitglied der Verts-Jugendorganisation „Chiche“, richtet weiterhin eine „ganz große Hoffnung“ auf die deutschen Grünen, auch wenn sie „ziemlich irriert war, als Fischer sagte, es gebe keine grüne, sondern nur eine deutsche Außenpolitik“.

Daß die drei grünen MinisterInnen in Deutschland bislang so wenig durchsetzen konnten, erklärt eine junge italienische Grüne so: „Das waren echte Revolutionäre. Vielleicht ist Deutschland doch noch nicht reif für Rot-Grün.“ Ein bayerischer Kongreß-Teilnehmer nennt es „kindisch“, von grünen MinisterInnen zu erwarten, daß sie zurücktreten, wenn ihre zentralen Projekte scheitern.

Grenzen zwischen den Generationen

In Paris herrscht Konsens darüber, daß die Grünen von der Opposition in die Verwaltung der Macht übergewechselt sind. „Jetzt stellen sich die Probleme anders“, heißt es. Die Entdeckung der grünen Gemeinsamkeiten zwischen Litauen und Spanien, zwischen Marokko und Australien fällt dennoch nicht leicht. So gelingt es nicht, eine generelle Arbeitszeitreduzierung in das grüne Manifest zu schreiben. Auch über den Charakter der europäischen „Sicherheitspolitik“ gibt es Uneinigkeit. Wenn der österreichische Grüne Franz Floss vor der „Gefahr der Militarisierung der Außenpolitik“ warnt, klatschen von den mehreren hundert Anwesenden maximal drei. Wenn Cohn-Bendit formuliert: „Wir wollen Soldaten überflüssig machen“, klatschen alle.

Ganz unterschiedlich diskutieren hinter den Kulissen auch jene Länder, die eine grüne Regierungsbeteiligung haben, und jene, wo die Grünen weiter in der Opposition sind. „Sie hat bei uns nur Offizielle und keine einzige NGO getroffen“, klagt eine marokkanische Delegierte am Rande des Kongresses über den Antrittsbesuch der französischen Umweltministerin in ihrem Land. Die Grenzen verlaufen ebenfalls zwischen den Generationen. Zwischen den „alten“ Grünen, von denen heute viele in den mächtigen Ämtern sitzen, und ihren Jugendorganisationen, die sich in den vergangen Jahren gebildet haben. „Wir sind keine junge Partei mehr“, sagt ein Franzose beim Mittagessen, „das ist eine Schwäche.“

Letzlich wird das grüne Manifest ein eher bescheidenes Papier. Kämpferische Worte oder das radikal oppositionelle „dagegen“ sind daraus verschwunden. Aber überflüssig sind die Grünen trotzdem nicht geworden. „Uns wird es geben, solange die Problemstellungen da sind“, heißt es in Paris.