: Bergziegen in Blankenese
Ein Jubiläum der anderen Art: Seit 40 Jahren klettern Kleinbusse durch die hügeligen Gassen des Hamburger Nobelvorortes ■ Von Gernot Knödler
Blankenese hat es besser. Nicht nur, daß der Vorort malerisch ist wie ein Fischerdorf auf Capri und der Elbblick in Gold aufgewogen wird – auch der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) ist anders. „Die Bergziege ist die freundlichste Omnibuslinie in ganz Deutschland“, behauptet zum Beispiel Anne Halbrok rundheraus. Die Rentnerin fährt seit zehn Jahren mit der Schnellbuslinie 48 des Hamburger Verkehrsverbunds. Heute dreht sie mit ihrem Enkel Leopold eine Extrarunde im hellrosa-dunkelrosa angemalten Jubiläumsbus.
Seit 40 Jahren beklettern Kleinbusse den Elbhang: vom S-Bahnhof Blankenese durch enge, winkelige Gassen hinab zum Strandweg und den Waseberg hinauf wieder zurück. Zum Geburtstag der Linie hat die Pinneberger Verkehrsgesellschaft (PVG) einem 1973er Mercedes-Bus einen Schnellbus-Anstrich wie früher verpaßt. Eine Schicht lang, von sechs bis 15 Uhr, erinnert er die BlankeneserInnen an die lange Tradition der „Bergziege“. Der Kosename ist irgendwann im Laufe der Jahrzehnte aufgekommen, weil die kleinen Busse bis zu 15prozentige Steigungen zu bewältigen haben.
Was die Bergziegen beim Publikum jedoch so beliebt macht, ist offenbar das Personal. „Die halten mitten auf der Strecke, wenn sie sehen, daß einer lange Beine macht“, erzählt Anne Halbrok. Der traumatisierte 0815-ÖPNV-Benutzer, gewohnt, daß die Chauffeure ungerührt vorbeibrausen, hört es mit Staunen. Ein alter Herr, im Aussteigen begriffen, muß unbedingt noch loswerden, daß die Fahrer „immer freundlich“ seien und daß sein Freund einmal mitgenommen worden sei, obwohl er kein Geld dabei hatte – das klingt eher nach italienischen Zuständen als nach Deutschland.
Der Busfahrer Dieter Kinzel ist einer der Vielgerühmten. Seit sechs Jahren manövriert er Kleinbusse zwischen Natursteinwänden und parkenden Autos hindurch. „Den Fahrplan einzuhalten ist unmöglich“, sagt Kinzel. Viel zu oft versperren Müllautos und Lieferwagen die engen Durchlässe. Zwangsläufig geht es gemütlich zu auf der „Schnellbuslinie 48“. Die Touristin labt sich an den schmucken Häuschen und dem periodisch sich bietenden Blick auf die Finkenwerder Elbbucht und den Schweinesand. Die regelmäßigen Fahrgäste genießen das angenehme Klima. Es sei wie in einer Familie, erzählt Anne Halbrok: „Wenn ich runter zu meiner Tochter fahre, sagen die Fahrer: ,Ihr Enkel spielt im Sandkasten' – das haben die gesehen.“
Für Abwechslung sorgt auch die Topographie: Vor ein paar Jahren, in einem Winter mit viel Schnee, seien ihm am Waseberg die Autos entgegengerutscht, erzählt Dieter Kinzer. Unmöglich, sich mit dem Bus auf normalem Wege dort hinaufzuarbeiten. Was tat der findige Fahrer? Er wendete und fuhr den über die Hinterachse angetriebenen Bus rückwärts den Berg hoch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen