„A Mensch ist gestorben“

■ Er beteiligte sich am jüdischen Widerstand gegen die Nazis, überlebte Auschwitz und war bis zu seinem Tode ein engagierter Antifaschist. In der vergangenen Woche starb Rudolf Neumann

Der Liedermacher Wolf Biermann brachte es auf den Punkt. Bei der Trauerfeier für Rudolf Neumann in der vergangenen Woche sagte er: „A Mensch ist gestorben.“ Er meinte damit nicht, wie die Übersetzung aus dem Jiddischen ins Deutsche nahelegen könnte, daß einfach ein Mensch gestorben sei. Nein, mit Rudolf Neumann sei ein guter Mensch, ein heiterer, ein neugieriger, ein hilfsbereiter Mensch von uns gegangen.

Rudolf Neumann starb im Alter von 91 Jahren am 23. Februar. Es waren nicht nur alte Mitglieder der Jüdischen Gemeinde Hamburgs, sondern auch viele jüngere Menschen aus seiner Nachbarschaft und dem Freundeskreis, die ihn auf seinem letzten Gang begleiteten. Wolf Biermann, dessen Vater ebenso wie Rudolf Neumann die Talmud-Tora-Schule in Hamburg besucht hatte und 1943 in Auschwitz ermordet worden war, hob hervor, daß es ein später Triumph, zumindest aber eine Genugtuung ist, daß ein Hamburger Jude wieder friedlich in Hamburg sterben kann. Und die Journalistin Peggy Parnass erinnerte sich an die politische Zuverlässigkeit ihres Onkels. So mischte sich in die Trauer um Neumanns Tod auch die uneingeschränkte Freude, einen wirklich guten Menschen gekannt zu haben.

Rudolf Neumann, von allen, die ihn kannten und schätzten, nur liebevoll Rudi genannt, wurde am 7. August 1907 in Hamburg geboren. Sein familiärer Hintergrund ist nicht der einer Hamburger Bankiers- oder Rabbinerfamilie. Sein Vater war Maurer. Nach seiner Schulzeit wurde Neumann Elektriker. Er engagierte sich in der „Jugend-Gemeinschaft jüdischer Arbeitnehmer“. Bei deren Treffen lernte er auch seine spätere Frau Flo-ra Andrade kennen. 1931 heirateten sie in der Bornplatz-Synagoge.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten beteiligte sich Rudolf Neumann am antifaschistischen Widerstand. Im Sommer 1933 wurde er erstmals verhaftet, verbrachte ein halbes Jahr in sogenannter Schutzhaft. Anschließend wurde er zur Pflichtarbeit gezwungen, zum Beispiel mußte er mithelfen, als 1937 der alte jüdische Friedhof am Grindel zwangsgeräumt wurde.

1938 floh Neumann nach Belgien, ein halbes Jahr später folgten ihm seine Frau Flora und ihr gemeinsamer Sohn Bernd ins erzwungene Exil. Nach dem Einmarsch deutscher Truppen 1940 wurde die Familie erneut voneinander getrennt. Rudolf Neumann kam in die französischen Internierungslager Gurs und St. Cyprien, von dort deportierte man ihn nach Auschwitz.

Flora Neumann, die sich dem belgischen Widerstand angeschlossen hatte, wurde 1942 verhaftet; kurz zuvor war es ihr gelungen, ihren Sohn im Kloster Diilbeck in der Nähe von Brüssel zu verstecken. Auch sie wurde nach Auschwitz verschleppt. Flora und Rudi Neumann überlebten die Vernichtungslager, Flora auch die berüchtigten Todesmärsche vom Januar 1945. Ihr Mann erlebte seine Befreiung in Buchenwald. Es grenzt an ein Wunder, daß sich alle Familienmitglieder nach 1945 in Belgien wiederfanden.

Seit Anfang der 50er Jahre lebten sie wieder in Hamburg. Flora und Rudolf Neumann waren und blieben politisch denkende Menschen. Man sah sie nicht nur bei Gedenkveranstaltungen, sondern auch bei politischen Diskussionen und Demonstrationen. Antifaschismus war für beide keine Worthülse, politisches Engagement eine Selbstverständlichkeit.

Bis 1989 gehörte Rudolf Neumann dem Beirat der Jüdischen Gemeinde in Hamburg an. Im Gedenken an seine ermordeten Eltern und Geschwister wusch er als Bruder der „Chewra Kadischa“ die Toten der Gemeinde. Über seine Erlebnisse in Auschwitz und Buchenwald sprach er kaum. Auf dem Erlebten basiert jedoch das 1987 vom Hamburger Kinderhaus Heinrichstraße herausgegebene Bilderbuch Das Kind im Koffer. Eine Geschichte aus dem KZ Buchenwald.

Seine Frau Flora schrieb über ihn: „Mein Rudi ist ein Mensch, der viel Liebe gibt. Er liebt besonders Kinder. Kein Wunder, nachdem er erleben mußte, daß Tausende unschuldiger Kinder in den KZ-Lagern gequält und vergast wurden. Er wird von den Menschen sehr geachtet, macht nicht viel Worte, ist einfach da, wenn man ihn braucht.“

Wilfried Weinke