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Saunaroman, Folge 38: Hallo, Sylvia!   ■  Von Susanne Fischer

Zuerst dachte ich mir nichts dabei. Ich kam in eine Sauna voller Frauen, die sich darüber unterhielten, ob man seine Angehörigen und Freunde nach dem Tode noch einmal sehen sollte. Nach dem Tod der Angehörigen, versteht sich; es handelte sich nicht um eine metaphysische Fragestellung. Über irgend etwas muß man sich ja anscheinend unterhalten, wenn man aus zwei X-Chromosomen hergestellt wurde und gerade nicht schläft. Warum nicht darüber, daß Oma schon vor ihrem Tod schwarze Flecken am Kiefer hatte, während Heinz-Rüdiger auch nach seinem Abtritt noch einen beinahe lebendigen, jedenfalls überaus friedvollen Eindruck machte? Allmählich wunderte ich mich aber doch, daß alle inzwischen immer wieder „Hallo, Sylvia!“, „Lange nicht gesehen, Sylvie“ und „Na, wie geht's, Sylvia, altes Haus!“ riefen, während ich mit dem besten Willen nicht ausmachen konnte, wer die Angesprochene war. Die antwortete nämlich nicht.

Allerdings ist Personenraten auch nicht so leicht, wenn man in der Sauna mit dem Gesicht zur Wand liegt, um nicht in eine Debatte darüber verwickelt zu werden, ob man nach dem Einsetzen der Totenstarre dem Verblichenen die Augen noch schließen kann oder nicht. Die Meinungen reichten von „Klar, aber man muß sie mit Klebstoff zusammenhalten“ bis „Nein, wenn ich's dir sage! Eher brichst du dir den Finger ab!“ Als ich mich schließlich doch umdrehte, riefen mehrere Frauen überrascht: „Das ist ja gar nicht Sylvia!“ Noch viel überraschter war aber meine Person. Ich bin nämlich gar nicht Sylvia.

Sylvia, so folgerte ich, ist eine Frau, die äußerliche Ähnlichkeiten mit mir aufweist und sich ansonsten dadurch auszeichnet, daß sie ihre Bekannten in der Sauna gewöhnlich schneidet, jedenfalls wenn sich diese degoutanten Gesprächsthemen widmen. Kurz, eine äußerst sympathische Dame, wie es schien. Und als ich mich vor der Sauna auf die Waage stellte, passierte es gleich noch mal: „Na, Sylvia, hat sich's gelohnt?“ Offenbar gleicht mir meine verloren gegangene Zwillingsschwester bis aufs Gramm genau!

Zweimal bereits wurde ich in diesem Leben von Männern, die mir schon beim Kennenlernen nicht gleichgültig waren, sofort überaus zuvorkommend behandelt. Das machte mich glücklich, bis sich herausstellte, daß mich der eine mit seiner Nachbarin verwechselte, während der andere glaubte, eine Schulkameradin vor sich zu sehen. Damals wußte ich, daß so etwas immer nur mir passiert, obwohl es ja logischerweise meinen Doppelgängerinnen auch widerfahren müßte, die ich übrigens nie kennengelernt habe.

Diesmal aber wollte ich es wissen: Frauensauna, eine Woche später. À la recherche du Sylvia perdu. „Wer“, flüsterte ich einer triefenden Dame zu, „wer ist Sylvia? Antworte!“ „Die da!“ zeigt die Matrone mit dem Finger auf eine Person im ätzroten Bademantel: Die ist zehn Zentimeter kleiner als ich, dafür aber fünf Kilo schwerer und hat eine Hakennase. Leicht kann man Sylvia, das alte Haus, an ihrem watschelnden Gang erkennen. Obwohl ich bei Details nicht kleinlich sein will. Aber Sylvia quasselt wahllos auf alles ein, was mindestens ein Ohr hat. Doch, nach ihrem Tode würde ich sie gern noch einmal sehen. Um ihr den Mund zu schließen.

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