piwik no script img

AnalyseEin Witz! Ein Gesetz

■ Frauen werden durch die 630-Mark-Regelung benachteiligt. Mehr nicht

Männer machen Witze, Frauen erzählen im allgemeinen absurde Geschichten. Ein Witz von Arbeitsminister Riester geht so: Eine alleinerziehende Mutter, die einen regulären Job und eine 630-Mark-Stelle hat, muß beide Gehälter versteuern. Im Gegensatz zur hinzuverdienenden Ehefrau. Deren Billig-Job bleibt steuerfrei. Warum? Die steuerliche Freiheit sei ein Anreiz für Ehefrauen, wieder ins Erwerbsleben einzusteigen. Wer mit einem kleinen Job anfange, werde bald einen regulären mit voller sozialer Absicherung haben, begründet Riester das neue 630-Mark-Gesetz. Da lachen selbst seine Mitarbeiterinnen laut.

Riester weiß wohl nicht, daß immer mehr reguläre Jobs in Billigstellen gesplittet werden. Zwischen 1992 und 1997 stieg ihre Anzahl von 4,45 Millionen auf 5,6 Millionen. Nach einer Studie des gewerkschaftsnahen Wirtschaftsinstituts WSI sind vor allem Frauen Billiglöhnerinnen. Immerhin arbeiten 7,7 Prozent Frauen weniger als 15 Stunden in der Woche, hingegen nur ein Prozent der Männer. Die typische Billigjobberin ist zwischen 25 und 54 Jahre alt und von Beruf „Hausfrau“; sie machen rund 64 Prozent der Geringverdiener aus. Das Gesetz zementiert die „Versorgerehe“. Es macht das Ehegattensplitting attraktiv – für gutverdienende Männer. Daran ändert auch nichts, daß Billiglöhnerinnen ein Rentenanspruch eingeräumt wird. Sieben Mark pro Monat stehen zu. Eine Frau müsse 150 Jahre für 630 Mark monatlich arbeiten, um eine Rente auf Sozialhilfeniveau zu erhalten, rechnet der CDU-Sozialpolitiker Hermann Kues aus.

Vor allem die Frauen in Ostdeutschland dürfen sich über das neue Gesetz freuen. Dort wird die Grenze von 530 auf 630 Mark angehoben. Vor allem im Hotel- und Gaststättengewerbe wird oft nicht mehr als 800 Mark für eine regulär versicherte Teilzeittätigkeit gezahlt. Diese Arbeitnehmerinnen werden unterm Strich netto künftig weniger verdienen als eine 630-Mark-Kraft. Auch diese soziale Schieflage beeindruckt den Arbeitsminister nicht.

Konnten Länder und Gemeinden bei der alten Rechtslage noch ihren Anteil von der Lohnsteuerpauschale einbehalten, bekommen sie demnächst nichts mehr. Statt dessen werden mit den Abgaben die finanzschwachen Sozialkassen gefüllt. Die gesetzliche Krankenversicherung erhält mehr als eine Milliarde Mark, ohne eine Gegenleistung zu erbringen. Das dürfte selbst die grüne Gesundheitsministerin Fischer nicht für gerecht halten. Doch die Sozialexpertin schweigt. Schließlich läßt sie sich von Billigjobberinnen den Zahnersatz für Jugendliche und die verminderte Zuzahlung bei Arzneimitteln finanzieren. Aus schlechten Witzen von Männern basteln Frauen auch schon mal absurde Gesetze. Annette Rogalla

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen