: Ein Kampf gegen Windmühlen
■ Berlin ist „Dreh- und Angelpunkt“ der Prostitution in Deutschland. 673 bekannten Bordellen, geschätzten 8.000 Prostituierten und einer enormen Dunkelziffer stehen 20 Kriminalbeamte gegenüber
Der Frauenhandel in Berlin boomt. Nach Schätzungen gehen in der Hauptstadt zwischen 7.000 und 8.000 Frauen der Prostitution nach. Etwa die Hälfte von ihnen sind Ausländerinnen, ein großer Teil davon illegal. Bundesweite Schätzungen gehen von 400.000 Frauen aus, die als Prostituierte arbeiten. „Berlin ist der Dreh- und Angelpunkt der Prostitution“, sagt Ingo Eilhardt, stellvertretender Kommissariatsleiter vom Landeskriminalamt (LKA) Berlin. Waren es bis vor einigen Jahren vorwiegend Frauen aus Thailand, den Philippinen, Togo oder Ghana, die nach Deutschland gebracht wurden, sind es mittlerweile hauptsächlich Frauen aus Osteuropa. „Menschenhändler nutzen deren schlechte soziale Situation aus“, sagt der 30jährige Oberkommissar.
Für Summen zwischen 4.000 und 8.000 Mark werden die Frauen meist mit Jobangeboten als Kellnerinnen oder Putzfrauen nach Berlin geschleust. „In harten Fällen werden die Frauen eingesperrt und arbeiten am Anfang umsonst“, beschreibt Eilhardt die „Zahlungsmodalitäten“. Die Berliner Polizei weiß von 673 „Örtlichkeiten“: Bordellen, Bordellwohnungen und Clubs. Im Rahmen des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes können die Beamten die zwar kontrollieren. Doch die etwa 20 Mitarbeiter, die sich in zwei Kommissariaten beim Landeskriminalamt mit dem Rotlichtmilieu beschäftigen, können da wenig ausrichten. „Eigentlich müßte man überall reingucken“, so Ingo Eilhardt, „aber dazu fehlt uns einfach das Personal.“ Zwar gab es zwischen 1995 und 1997 eine Steigerung der Ermittlungsverfahren von 114 auf 139. Doch „es gibt ein erhebliches Dunkelfeld“, so Eilhardt. „Manchmal ist es schon ein Kampf gegen Windmühlen“, beschreibt er seine Arbeit.
Gelingt es der Polizei dann doch, Menschenhändler oder Zuhälter dingfest zu machen, ist der eine oder andere Ermittler von dem Strafmaß enttäuscht. Die Gesetze seien ausreichend, „aber die Urteile sind oft nicht in unserem Sinn“. Die Beweisführung der Gerichte hängt maßgeblich von der Aussagebereitschaft der Frauen vor Gericht ab. Da die meisten Frauen verständlicherweise nicht bereit sind, gegen ihre ehemaligen Peiniger vor Gericht auszusagen, und nur wenige eine Duldung für die Dauer des Verfahrens in Anspruch nehmen, ist die Beweisführung problematisch. Zwar sind die Gerichte nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs gehalten, alles Erdenkliche dafür zu tun, sie zu laden. Doch in der Praxis ist das äußerst schwer. Denn die Möglichkeit, die Frauen im Rahmen eines internationalen Rechtshilfeersuchens zu laden, wenn sie wieder in ihren Heimatländern sind, ist zeitaufwendig und nur selten von Erfolg gekrönt. In der Regel dauert das ein halbes Jahr, in dem das Gericht nur wartet, daß das Schreiben zugestellt wird, dem die Frau letztendlich selten nachkommt. Weil auch bei Verfahren gegen Menschenhandel Zeit Geld kostet, wird deshalb oftmals versucht, mit Verfahrensabsprachen zu vernünftigen Ergebnissen einerseits und zu einer Entlastung der Steuerzahler andererseits zu kommen.
Nach Einschätzung von Anklägern sind die Verfahren in den letzten Jahren auch umfangreicher geworden. Vor einigen Jahren ging es vorwiegend um Einzeltäter, jetzt seien oftmals größere Gruppen wie die „Bulgaro-Türken“ betroffen. Dabei tun sich Vertreter einer türkischen Minderheit aus Bulgarien mit hier lebenden Türken zusammen. Eine Zusammenarbeit wie in dem obigen Verfahren mit Deutschen ist eher die Ausnahme.
Barbara Bollwahn de Paez Casanova
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