: Die Männer mit den Strichlisten
In einem Mammutprozeß wird einem Bulgaren, der Frauen aus Osteuropa nach Berlin gelockt hat, und seinen deutschen Kumpanen das Handwerk gelegt ■ Von Barbara Bollwahn de Paez Casanova
Für Richter Hans-Jürgen Brüning ist die Sache klar: „Das ist klassisches Rotlicht hier“, stellt er aufgebracht fest. „Wir ziehen uns die Hose auch nicht mit der Kneifzange an. Sie können uns keine Märchen erzählen!“ belehrt er einen der Angeklagten, der sechs Jahre lang das Bordell „Michele“ in Prenzlauer Berg betrieben hat, in dem vorwiegend Frauen aus Osteuropa gearbeitet haben. „Sie annoncieren und kennen diverse Mädchenvermittler!“ wirft er dem gelernten Werkzeugmacher vor, der zuvor genauestens die Geschäftsbedingungen beschrieben hatte: 20 Minuten Geschlechtsverkehr für 60 oder 70 Mark, 30 Minuten für 100 Mark. Den Großteil davon steckte er selber ein. „Ich hatte nie Schwierigkeiten, Mädchen zu bekommen“, verteidigt sich der Angeklagte. Nur einmal seien ihm Frauen angeboten worden, betont er immer wieder. „Ich habe niemals mit Zuhältern zu tun gehabt“, will er dem Richter weismachen. „Darauf wäre ich nie gekommen, ehrlich.“
Anfang Februar begann vor dem Landgericht Berlin der Prozeß gegen einen 46jährigen Bulgaren, drei deutsche Männer, eine deutsche Frau und einen Türken. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft: Der Hauptangeklagte, der Bulgare Krassimir K., soll sechs Frauen aus Bulgarien und Tschechien mit falschen Versprechungen nach Berlin geholt und sie unter Androhung von Gewalt zur Prostitution in Etablissements wie „Bar Madame“, „Michele“ oder „Jackie's Inn“ gezwungen haben, die von den mitangeklagten Deutschen betrieben wurden. Außerdem soll der Bulgare, der seit über zehn Jahren in Deutschland lebt, zwei Polinnen an die Mitangeklagten „verkauft“ haben. Zu guter Letzt muß er sich wegen dreifacher Vergewaltigung und „Kleindelikten“ wie Fahren ohne Führerschein verantworten. Insgesamt werden dem Mann 26 Straftaten vorgeworfen.
Der Prozeß unterscheidet sich insofern von anderen Menschenhandelprozessen, als es hier nicht nur um eine oder zwei Frauen geht und es außerdem eine Kooperation zwischen einem ausländischen Zuhälter und Deutschen gibt. Für die Staatsanwaltschaft steht fest, daß der Bulgare Krassimir K. die Frauen herbrachte und in den Bordellen des gelernten Werkzeugmachers, eines Elektroinstallateurs, eines Arbeitslosen und einer Barbetreiberin untergebracht hat.
Der gelernte Werkzeugmacher, der im bürgerlichen Leben die Buchhaltung in den Friseurgeschäften seiner Ehefrau macht – wo sich auch die Prostituierten frisieren ließen –, räumt zwar ein, daß „irgendwann nur noch ausländische Frauen“ bei ihm gearbeitet haben. Ganz der Buchhalter, erzählt der bieder wirkende Mann auch von Strichlisten, die er über die Anzahl der Freier geführt hat. Doch Zuhälterei streitet er, genau wie die anderen Mitangeklagten, anfangs vehement ab. Die Frauen seien „blendender Laune“ gewesen, als Krassimir K. sie ihm gebracht habe, und „wurden mit Küßchen verabschiedet“.
Während in der Anklage von „bordellartigen Betrieben“, „Unzuchtsverdienst“ und „milieubedingter Kleidung“ die Rede ist, nennt Richter Brüning im Verlauf des Prozesses die Dinge deutlicher beim Namen und spricht von Puffs und Bordellen. Als der Betreiber des „Michele“ nach mehreren Nachfragen zugibt, mit dem Bulgaren Krassimir K. die Abrechnungen gemacht zu haben, platzt dem Richter der Kragen. „Warum, weil er der Zuhälter war?“ – Der Angeklagte schweigt. Dafür meldet sich der Hauptangeklagte zu Wort. „Eine Telefonnummer heißt doch nicht kennen“, schreit er, „es geht um mein Leben.“ Krassimir K., der als einziger in Untersuchungshaft sitzt, drohen für schweren Menschenhandel und Zuhälterei bis zu zehn Jahre Haft.
Die mitangeklagten Deutschen wollen den Bulgaren an den ersten Verhandlungstagen nur vom Sehen oder Hörensagen kennen. Doch der Staatsanwalt läßt sich nicht für dumm verkaufen. „Wir haben gewisse Erfahrungen in diesem Bereich“, klärt er die Angeklagten auf, „das können Sie mir glauben.“ Für ihn steht fest, daß er es hier mit organisiertem Menschenhandel zu tun hat.
Ausnahmsweise konnten in diesem Verfahren drei bulgarische Zeuginnen vor Gericht aussagen. Zwei hatten eine Duldung für die Dauer des Verfahrens, eine der Frauen ist aus Bulgarien angereist. So mußte sich das Gericht nicht auf die Verlesung der polizeilichen Vernehmungsprotokolle beschränken, die nicht so beweiskräftig sind wie persönliche Aussagen. Weil die deutschen Angeklagten zum Teil nach Zeugenaussagen geständig waren, wurden sie vor wenigen Tagen wegen Beihilfe zur Zuhälterei und Förderung der Prostitution zu Freiheitsstrafen zwischen einem und dreieinhalb Jahren verurteilt.
Das Verfahren gegen den Hauptangeklagten wird sich noch bis Ende April hinziehen. Mehr als dreißig Zeugen und eine Fülle von Beweismaterial sollen ihn überführen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen