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"Viel läuft in verkrusteten Bahnen"

■ Gespräch mit dem Kölner Sportwissenschaftler Henning Allmer, dessen Konzept der psychologischen Betreuung von Fußballern bei Teamchef, DFB und den meisten Trainern auf tiefes Mißtrauen stößt

Herr Allmer, der deutschen Fußball-Nationalmannschaft fehlt es an Orientierung. Hat sich Erich Ribbeck schon bei Ihnen gemeldet?

Henning Allmer: Nein, bisher nicht. Er wird es auch nicht tun: Die Vorbehalte des neuen Bundestrainers gegenüber der Psychologie sind ja bekannt.

Haben Sie eine Idee, was der Grund für Ribbecks abwertende Einstellung sein könnte?

Es liegt vor allem daran, daß Herr Ribbeck keine konkreten Vorstellungen hat, was ein Psychologe leistet. Beim Bundestrainer sind also Unkenntnis und Unwissenheit wesentliche Bedingungen. Und sicherlich hat er seine Ausbildung an der Sporthochschule auch zu einer Zeit gemacht, als die Sportpsychologie noch kein ausgereiftes Konzept hatte.

Stellt Sir Erichs Verweigerung einen Einzelfall dar?

Nein, sein Verhalten ist typisch für den Deutschen Fußball-Bund. Dort herrschen massive Bedenken vor, was die psychologische Arbeit angeht. Vieles läuft in verkrusteten Bahnen. Denken Sie nur ans Nationalteam, das neu formiert werden sollte. Und was passiert? Man fällt in den alten Trott zurück und nimmt Trainer, die sich nicht mehr mit modernen psychologischen Konzepten vertraut gemacht haben, verzichtet aber auf solche, die neue Ideen entwickeln.

Ist der DFB zu selbstherrlich?

Es gibt relativ wenig Möglichkeiten, mit DFB-Vertretern in Kontakt zu kommen. Außer daß einer zur Einführungs- und Abschlußveranstaltung des jeweiligen Lehrgangs kommt, tut sich da nicht viel. Dabei weisen wir den DFB und speziell den Verantwortlichen für das Lehrwesen immer wieder darauf hin, daß die Psychologie in der Praxis mehr gefördert werden müßte. Ich habe zunehmend den Eindruck, daß gerade der Fußball ein besonders konservativer Bereich ist und wenig Bereitschaft gezeigt wird, neue Wege zu gehen. Davon ist besonders die Psychologie betroffen.

Ist doch klar: Welcher Profi gibt schon gerne zu, daß er ein Warmduscher mit 'ner Macke ist und Zusatzschichten auf der Couch schiebt?

Solche Sachen höre ich ständig von Trainern und Spielern. Der Psychologe wird fälschlicherweise noch immer mit einem Psychiater gleichgesetzt. Der Gang zum Psychologen ist noch immer ein Verzweiflungsakt. Problematisch ist auch, daß der Titel Psychologe nicht ausreichend geschützt ist. Jeder, der sich mit psychologischen Sachverhalten beschäftigt, kann Angebote machen, egal ob er eine Ausbildung als Diplompsychologe hat oder nicht. Da ist es für die Fußballtrainer schwierig, zwischen seriösen und weniger seriösen Anbietern zu unterscheiden. Das schreckt selbst Aufgeschlossene ab.

Wundert Sie das? Mentaltrainer und selbsternannte Psycho- Docs haben das Laufen über Glasscherben und glühende Holzkohle im Programm.

Die eben genannten Maßnahmen würde ich schon als Humbug bezeichnen. Wir müssen verstärkt Aufklärung betreiben und den Trainern verläßliche psychologische Methoden an die Hand geben. Unserer Ansicht nach sind nur solche Programme geeignet, die empirisch abgesichert sind und wissenschaftlich fundiert entwickelt wurden. Dazu gehört, daß die Konzepte problemspezifisch sind, etwa für Motivationsförderung oder Streßabbau, und auf die jeweiligen Zielgruppen zugeschnitten wurden: Man sollte nicht davon ausgehen, daß es ein ganz bestimmtes, rundes Programm gibt, das man allen Trainern und Spielern überstülpen kann.

Kann das Desinteresse nicht auch daran liegen, daß eigentlich keiner genau weiß, wie Psychologen überhaupt arbeiten?

Das spielt auch eine Rolle, es muß stärker deutlich werden, wie wir die Arbeit eines Psychologen verstehen. Der soll ja nicht im Verein eine feste Position haben, sondern anfänglich als Berater oder Gesprächspartner des Trainers tätig sein. Erst wenn es Probleme mit Spielern gibt, die der Trainer nicht alleine zu lösen vermag, kann der zweite Schritt erfolgen. Dann sucht man die Kooperation zwischen Athlet, Trainer und Psychologe. Der Fall wird zu dritt bearbeitet, und entsprechende Maßnahmen werden entwickelt. So hat es auch Christoph Daum bei Bayer Leverkusen gemacht.

Kommt es bei dieser Konstellation nicht leicht zu Kompetenzstreitigkeiten?

Nein, sofern eines allen Beteiligten klar ist: Der Trainer ist immer noch derjenige, der die Trainingsarbeit und Wettkampfvorbereitung machen soll. Es ist nicht die Aufgabe des Sportpsychologen, die Schußhaltung des Profis oder sein Kopfballspiel zu verbessern. Ich sage immer: Viele Köche verderben nur dann den Brei, wenn sie nicht aufeinander abgestimmt sind.

Hört sich gut an, klingt allerdings sehr nach dem Rufer in der Wüste.

Dieses Modell ist gut in die Praxis umsetzbar. Es fehlt jedoch die Offenheit der Praxis. Unsere Absolventen sagen immer: Ist ja schön und gut, was ihr macht, aber die Spieler lachen uns aus, wenn wir damit ankommen. Die Bereitschaft ist also da, aber am Ende bleibt ein altes menschliches Problem: Was man im Kopf hat, muß man nicht notwendigerweise in die Tat umsetzen. Mich hat noch kein Lehrgangsabsolvent angesprochen und gebeten, ihn in seiner Tätigkeit zu beraten.

Dabei werden die Ansprüche an die Übungsleiter immer größer, auch weil immer mehr Spiele zu absolvieren sind. Wie bewerten Sie die Belastungen aus psychologischer Sicht?

Die Trainer müssen ein komplexes Gefüge führen und koordinieren, in dem jeder seine eigenen Wünsche und Ziele hat. Da kommt es beispielsweise vor, daß Spieler in bestimmten Problemsituationen nicht besonders engagiert sind. Doch wenn dann der Trainer in die Motivationskiste greift, muß er wissen, daß sich bestimmte Tricks abnutzen: Er kann nicht ständig Tausendmarkscheine an die Kabinentür heften oder einen lebendigen Adler mitbringen, um ein Signal zu setzen. Und nicht jede Maßnahme ist für alle Mannschaften geeignet. Sie muß individuell passen und darf nicht aufgesetzt wirken. Das verlangt psychologisch fundiertes Know-how.

Was empfehlen Sie als Mittel gegen Abstumpfung?

Manchmal hilft es schon, wenn sich jemand Neutrales die Problemlage anguckt. Das könnte auch ein Psychologe sein, der nicht im System drinsteckt und sozusagen ohne Betriebsblindheit an die Sachen rangehen kann. Um nur ein Beispiel zu nennen: Die Beanspruchung der Spieler und Trainer wächst ja permanent. Durch die vielen Einsätze wird die Regenerationszeit, die jeder zwischen den Spielen braucht, stark reduziert. Damit meine ich nicht nur die physische Erholung, sondern auch die psychische. Hier ist die Sportpsychologie ganz besonders gefragt, nicht nur im Fußball. Wir müssen Konzepte entwickeln, die den Regenerationsprozeß von Sportlern fördern.

Inwieweit könnte man in diesem Bereich von Erfahrungen aus den USA profitieren? Dort sind Psychologen oder Mental Coaches fester Bestandteil eines Profi-Teams.

Diese Form der Zusammenarbeit steht in den USA auf ganz anderen Beinen. Andererseits müssen wir gar nicht über den Atlantik blicken. In der DDR hatte die Sportpsychologie einen weitaus höheren Status als heute in der Bundesrepublik. Zumindest die Verbände oder die jeweiligen Auswahl-Teams haben ganz eng mit Sportpsychologen zusammengearbeitet. Da war es selbstverständlich, daß externe Fachleute hinzugezogen wurden.

War die Wende ein Rückschlag für die hiesige Sportpsychologie?

Ich würde es nicht gleich als Rückschlag sehen, aber es hätte sicherlich einen Schritt nach vorne bedeutet, wenn man diese Kontaktmöglichkeiten hätte nutzen können.

Wie lange wird es dauern, bis sich in der Bundesrepublik die Sportpsychologie als Methode durchgesetzt hat und nicht mehr als Exotentrip gilt?

In Jahren kann ich das nicht sagen. Aber wenn sich herumspricht, daß Christoph Daum mit der Arbeit eines Psychologen gute Erfahrungen gemacht hat und Leverkusen erfolgreich ist, werden andere nachziehen – vielleicht auch irgendwann der DFB. Interview: Rainer Schäfer

und Clemens Gerlach

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