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Das System heißt Hitzfeld

Bayern Münchens Trainer spielt B-Teams ein, reiht Arbeitssiege aneinander und unterhält dabei die Leute. Wie macht er's?  ■ Von Christoph Kieslich

München (taz) – Die einen nennen es die langweiligste Meisterschaft in der Bundesligageschichte, andere die querelenärmste Saison des FC Bayern München seit Menschengedenken. Ottmar Hitzfeld sagt, was er schon in Dortmund immer gesagt hat: Alles ist dem Erfolg unterzuordnen. Am 21. Spieltag, gegen den SC Freiburg sah das dann so aus: Matthäus und Strunz Gelb-gesperrt, Linke, Jancker und Basler nach dem Champions-League-Einsatz zur Erholung auf der Bank. Dafür vier Spieler, die in der Rückrunde noch keine Rolle gespielt haben: Helmer, Kuffour, Tarnat, und Ali Daei. Die Münchner „B-Mannschaft“, wie Thomas Helmer sagt.

Das könnte man als reichlich hochmütig gegenüber dem Gegner werten, drückte der Trainer jedoch anders aus: „Es war höchste Zeit, daß sich eine andere Formation einspielen konnte.“ Mit dem Ergebnis ist er bedingt zufrieden: zu viele Ballverluste, zuwenig Rhythmus im Bayern-Spiel. Das reicht immer noch, um Freiburg mit 2:0 zu schlagen. Wieder ein „Arbeitssieg“, sagt Hitzfeld, wie schon vorigen Mittwoch gegen Kaiserslautern. Daß der Freiburger Verteidiger Jörn Schwinkendorf in seinem ersten Spiel nach neunmonatiger Verletzungspause ein spektakuläres Eigentor köpfte zum 1:0 war nur eine Randepisode. Hitzfeld nennt das: „Wir haben uns das Glück erarbeitet.“

München gibt sich zufrieden mit solchen Arbeitssiegen, weil Arbeitssiege unter Hitzfeld unterhaltsamer daherkommen als zu Giovanni Trapattonis Zeiten. Auch sein Vorgänger sei ein „großer Taktiker“, sagt Hitzfeld. Doch erst Hitzfeld schafft es, daß riesige Potential, das in der Mannschaft steckt, auszuschöpfen. Zum einen deshalb, „weil die Stars, die auf der Bank sitzen, nicht gleich anfangen zu singen“, wie Kollege Volker Finke feststellt.

Und weil sich die Mannschaft auf unterschiedliche Zusammensetzungen versteht. Diesmal spielte weder Matthäus seine egoistische Interpretation eines Liberos, noch Jeremies den moderneren zentralen Verteidiger. Zur Abwechslung kehrte Helmer in die hinterste Reihe zurück und spielte einen eher konservativen Libero, zwischen Babbel und Kuffour. „Unser Erfolg ist nicht auf eine taktische Komponente zurückzuführen“, sagt Hitzfeld. Und die Abwehrformation gegen Freiburg lobte er: „Defensiv sind wir sehr gut gestanden.“

Die Freiburger spielten im Olympiastadion selbstbewußt ihr Pressing, sie rannten und verschoben. „Sie haben den Ball sehr gut zirkulieren lassen und haben uns alles abverlangt“, sagte Hitzfeld anerkennend, „aber klare Chancen hatten sie nicht.“ SC-Libero Lars Hermel trieb sich weit vor seinen Manndeckern herum, schaffte Überzahl im Mittelfeld und viele Balleroberungen. Unter dem Strich sind die Freiburger sogar öfter in Ballbesitz gewesen und haben sich etliche Male gefährlich an die Grundlinie und in den Strafraum der Bayern kombiniert. Das Resultat aus Aufwand und Ertrag jedoch war niederschmetternd. Warum? Weil vor dem Tor „die Klarheit und Kälte fehlt“ (Finke).

Das hätten sich die Münchner auch nachsagen lassen können bei einer Handvoll kapitaler, aber ausgelassener Torchancen, vor allem im zweiten Durchgang, als die Gäste noch mehr Risiko eingingen. Das schaffte Platz, den vor allem Stefan Effenberg nutzte. Hinter den drei Spitzen, mit denen Hitzfeld konsequent seine Variante eines attraktiven Angriffsfußballs inszeniert, ist Effenberg die entscheidende Schaltstation. Er löst die Vorwärtsbewegung mit direkten, präzisen Zuspielen aus. Das ist kein großes Geheimnis, sondern Effenbergs individuelle Stärke.

Der sechste Sieg in Folge ohne Gegentor und ein überirdischer Vorsprung in der Tabelle – da drängt sich Thomas Helmer der Eindruck auf, „daß nur unsere B-Mannschaft die A-Mannschaft schlagen kann“. Es wäre das spannendste Spiel der Saison. Welches Team wirklich gewänne? Welches würde Hitzfeld betreuen?

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