■ Buchtip: Umm Kalsum
Das Leben der ägyptischen Sängerin Umm Kalsum (1905 bis 1975) ist eine Erfolgsstory. Das Mädchen vom Lande stieg zur nationalen Identitätsfigur und zur bedeutendsten Sängerin der arabischen Welt auf. Bis heute bekommt jeder Taxifahrer in Tunis, jeder ägyptische Zöllner glänzende Augen, hört er ihren Namen.
Zwei Bücher, die unterschiedlicher nicht sein könnten, nähern sich dem Leben der Sängerin. Die Islamwissenschaftlerin Stefanie Gsell beschreibt die Sängerin vor dem historischen Hintergrund: der Zeit der gesellschaftlichen Liberalisierung in Ägypten, des wachsenden nationalen Selbstbewußtseins und der Veränderungen der politischen Situation. Der libanesische Autor Sélim Nassib schildert die Persönlichkeit Umm Kalsums aus der Perspektive ihres bevorzugten Textdichters, Ahmad Rami. Er schrieb einen Roman über Ramis unmögliche Liebe zum „Stern des Orients“.
Stefanie Gsell gibt eine faktenreiche und informative Einordnung Umm Kalsums nicht nur in ihre Zeit, sondern auch in die arabische Tradition und Musik. Umm Kalsum, schreibt die Autorin, liebte religiöse und patriotische Lieder, letztere sang sie, „als würde sie für Ägypten beten“. Kein Wunder, daß sie zum nationalen Symbol nicht nur Ägyptens, sondern der ganzen arabischen Welt aufstieg, mit den Nassers und anderen religiösen und politischen Persönlichkeiten befreundet war. Dennoch thematisieren die meisten ihrer Lieder, 78 Prozent, so Gsell, die „unmögliche Liebe“. Trennungsschmerz und das Leid der Liebe sind immer wiederkehrendes Motiv. Die Sängerin verstand es bestens, ihr arabisches Publikum am Gefühl, an vergeblichen Sehnsüchten zu packen.
Gefühlsmäßig band sie auch ihren Textdichter Rami an sich und brachte ihn so zu Höchstleistungen. Die Geschichte von Rami und seiner „Dörflerin“ lebt die unerfüllte Liebe, die Sehnsucht und Stimmung ihrer Lieder. Lakonisch erzählt Rami sein Scheitern. Er lernt die Sängerin kennen, als sie noch als Beduinenjunge verkleidet auftrat, um den strengen Ehrenkodex ihrer Familie nicht zu verletzen. Er beschreibt ihren Aufstieg, ihre Erfolgssucht, ihre selbstgewählte Mannlosigkeit in einer patriarchalischen Gesellschaft. Gelöst, entspannt erlebt er die nach außen immer formale, strenge Diva nur mit Frauen. Mit Frauen fühlt sie sich frei, auch körperlich. In Ramis Augen ist dies die logische Konsequenz einer ehrgeizigen Frau, die sich gegen die Dominanz einer Männergesellschaft ständig wehren muß. Sélim Nassibs Roman ist mindetens so melancholisch wie die Lieder der Umm Kalsum. Edith Kresta
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