Zweierlei Antlitze des Terrorismus

Während für Walter Laqueur der internationale Terrorismus vor allem ein in der Wahl seiner Waffen wenig zimperliches Armageddon ist, erkennt Peter Waldmann in ihm eine politische Verlegenheitsstrategie, die eigenen Gesetzmäßigkeiten folgt  ■ Von Otto Diederichs

„Terroristen sollten mager, hungrig und unverdorben vom Highlife sein. Als Carlos fett geworden war und einen großen Teil seiner Zeit in Nachtclubs verbrachte, waren seine Tage als Terrorist gezählt.“ Diese Weisheit stammt von Walter Laqueur, Terrorismusforscher und seit 1973 Vorsitzender des International Research Council im Washingtoner Center for Strategic and International Studies.

Zu Beginn seines Buches läßt Laqueur von den altrömischen Sikariern bis zu Hamas, GIA und Tamil Tigers erst einmal alle Revue passieren, die Rang und Namen haben. Ein „Who is who“ des politischen Mordes – gefolgt von einem Blick in die Welt der Massenvernichtungsmittel. So eingestimmt wird dann Detailwissen vermittelt: Links- und Rechtsterrorismus, religiöser Terrorismus und Staatsterrorismus.

Auf dem Weg ins Schlußkapitel „Terrorismus der Zukunft“ entdeckt Laqueur bereits die ersten neuen Spielarten des exotischen Terrorismus, Öko- und Cyberterrorismus. Natürlich führt auch eine Spur zur organisierten Kriminalität. Seite um Seite ein Armageddon. Allerdings offenbart Laqueur auch einen eklatanten Mangel an echtem Wissen. So wird die RAF durchgängig immer mal zur Baader-Meinhof-Gruppe. Nach Laqueur war sie „ungefähr sieben Jahre lang aktiv und wurde dann von der Bewegung 2. Juni und den Roten Zellen abgelöst“. Das ist eindeutig falsch. Auch daß sie je gedroht hätte, biologische Kampfmittel einzusetzen, ist hierzulande unbekannt und hätte ihrem Grundverständnis widersprochen. Natürlich hat Moskau alles gesteuert. Laqueur bedient auch diesen Kalter-Krieg-Mythos. Arbeitsteilig habe das KGB die Aufgaben delegiert, „waren die Ostdeutschen für die Baader-Meinhof- Gruppe (...) zuständig“. Andere Erkenntnisse nach dem Ende der DDR – sei's drum.

Rechtsterrorismus. „Während die linken Terroristen der 1970er aus den Studentenbünden und -cafés hervorgingen, kamen ihre rechten Pendants aus Kneipen oder hingen an Straßenecken herum.“ Fußballhooligans, Skinheads, die Brandstifter von Mölln und Solingen oder die rechtsradikalen Massenausschreitungen in Rostock- Lichtenhagen 1992, alles wird in dieser Kategorie zusammengefaßt. Differenzierung tut auch hier nicht not: „Wut, Verzweiflung und Aggression werden sich stauen und irgendwie ein Ventil finden. Gleichzeitig wird man viel leichter Zugang zu Waffen erhalten, die mörderischer als primitive Molotowcocktails sind. Hier, nicht in den Nadelstichen der Vergangenheit, liegt die wahre Gefahr.“ Bei Laqueurs Zukunftsvisionen werden die Schrecken von Vergangenheit und Gegenwart hochgerechnet und mit den Errungenschaften der Waffentechnik multipliziert: „Hätten die Terroristen den bei ihrem Anschlag auf das World Trade Center benutzten Lieferwagen nicht mit ANFO (Ammoniumnitrat), sondern mit Kernmaterial gefüllt, so wäre vielleicht das gesamte untere Manhattan in die Luft geflogen.“ Hätte, könnte, wäre möglich, was wäre wenn, sind seine wichtigsten Satzverbindungen für den künftigen Weltenbrand.

Von solch inflationärem Gebrauch des spekulativen Konjunktivs hebt sich Peter Waldmann direkt wohltuend ab. Gegen dramatische Effekte setzt der Professor für Soziologie und Sozialkunde an der Uni Augsburg präzises Denken. Nüchtern analysiert er den Terrorismus, ohne dabei wissenschaftlich unverständlich zu werden. Anders als Laqueur, der Attentäter, Terroristen und Guerilleros zu einem ungenießbaren Cocktail mixt, findet Waldmann gleich zu Beginn eine klare Formel: „Der Guerillero will den Raum besetzen, der Terrorist will dagegen das Denken besetzen.“ Da es sich „im Grunde um eine Verlegenheitsstrategie mangels der Möglichkeiten eines offenen Aufbegehrens“ handele, ist Terrorismus daher für ihn „primär eine Kommunikationsstrategie“. Eben weil terroristische Gruppen zwangsläufig kleinere, in sich geschlossene Zirkel seien, müßten sie darauf achten, daß ihre Gewaltbotschaften auch verstanden werden. Sowohl von jenen, die sie bekämpfen, als auch von denen, für die sie (vermeintlich) kämpfen und deren Unterstützung sie benötigen. Zumindest gelte dies für den sozialrevolutionären und ethnisch-nationalistischen Terrorismus. Als politische Strategie sei er somit, auch wenn dies zynisch klingen mag, auf eine gewisse „Gewaltökonomie“ angewiesen.

Für den religiösen Terrorismus fällt sein Urteil so eindeutig nicht aus. Doch auch hier grenzt er sich klar von populistischen Argumenten ab, wonach religiös-fundamentalistische Terroristen bereits außerhalb dieser Welt stehen und daher an keine irdischen Maßstäbe mehr gebunden seien. Auch Waldmann streift die weltweit verschiedensten Terrororganisationen, sein Hauptaugenmerk aber gilt Westeuropa: Italiens Rote Brigaden, die deutsche RAF, die baskische ETA und die IRA in Nordirland. An ihnen zeigt er die unterschiedlichen (historischen) Entstehungsvoraussetzungen und Existenzbedingungen sozialrevolutionärer und nationalistischer Gruppen auf.

Waldmann analysiert die Zwänge, in denen sie von Anbeginn stecken und in die sie zunehmend geraten, je länger sie (über- )leben. Terroristen können, so Waldmanns Fazit, „keinen entscheidenden eigenen Beitrag zur Erreichung des angestrebten Zieles leisten“. Nur wenn man ihre zweifellos vorhandenen Störkapazitäten bereits als „Leistung“ betrachte, seien sie nicht ohne Erfolge. Weder für Terroristen selbst noch für die Gesellschaft als Ganzes ein attraktives Ergebnis. Dennoch zeigt der Vergleich Laqueur/ Waldmann, daß ein analytisch sauberer Umgang mit dem Phänomen/Problem Terrorismus durchaus geeignet ist, Hysterie und Panik zu vermeiden.

Walter Laqueur: „Die globale Bedrohung. Neue Gefahren des Terrorismus“. Propyläen Verlag, Berlin 1998, 376 Seiten, 48 DM

Peter Waldmann: „Terrorismus – Provokation der Macht“. Gerling Akademie Verlag, München 1998, 230 Seiten, 42 DM