piwik no script img

HIV-Prozeß bis zum Schluß umstritten

■ Drei französische Ex-MinisterInnen erfahren heute ihr Urteil. Sie sollen für HIV-Infektionen durch Blutkonserven verantwortlich sein

Berlin (taz) – Über ein Jahrzehnt nach den „fahrlässigen Tötungen“ und „Körperverletzungen“, die ihnen vorgeworfen werden, erfahren drei französische Ex- MinisterInnen heute in Paris ihr Urteil. Das eigens zu diesem Zweck geschaffene Gericht, „Cour de la Justice de la République“, kann Ex-Premierminister Laurent Fabius, Ex-Sozialministerin Georgina Dufoix und Ex-Gesundheitsstaatssekretär Edmond Hervé zu bis zu fünf Jahren Gefängnis verurteilen. Vorausgesetzt, es stellt fest, daß die drei SozialistInnen HIV- verseuchte Blutkonserven trotz des Wissens um ihr Risiko erst später aus dem Verkehr gezogen haben.

Doch schon vor seiner Verkündung ist das Urteil gegen die drei SpitzenpolitikerInnen in Frankreich umstritten. Wie fast alles an diesem allerersten Verfahren vor dem neuen Sondergericht, das 1993 per Gesetz geschaffen wurde, nachdem sich herausgestellt hatte, daß ein Verfahren gegen die drei SozialistInnen nicht mehr zu vermeiden war. Zu erdrückend erschien die Last der Dokumente, die darauf hindeuteten, daß Fabius, Dufoix und Hervé Mitte der 80er Jahre zu lange abwarteten, bevor sie alle Blutkonserven aus dem Verkehr zogen und einen obligatorischen HIV-Test für Blutspenden einführten. Über 4.000 Menschen – darunter BluterInnen, aber auch Unfallopfer und Operierte, die Blutspenden benötigten – sind in jener Zeit in Frankreich mit dem Aids-Virus infiziert worden. Der schwerste Vorwurf gegen die drei angeklagten PolitikerInnen lautet, daß sie einen bereits verfügbaren US-amerikanischen Test (Abbot) nicht umgehend in Frankreich auf dem Markt zuließen, um einer französischen Firma (Pasteur) Zeit zu lassen, einen eigenen Test zu entwickeln.

Doch das dreiwöchige Verfahren vor der „Cour de la Justice de la Republique“ lieferte die erwartete Klärung nicht. Unter anderem, weil das Sondergericht nur einen begrenzten Zugriff auf ZeugInnen hatte. Da zahlreiche ZeugInnen, darunter einstige MitarbeiterInnen der drei Angeklagten, sich selbst demnächst vor anderen Gerichten in derselben Frage verantworten müssen, waren sie vom Eid befreit und konnten eine Aussage sogar ganz ablehnen.

Behindernd für die Arbeit des Gerichtes war auch die Abwesenheit von NebenklägerInnen, die – zusammen mit ihren AnwältInnen – normalerweise für eine kontroverse Debatte sorgen. Nur vier überlebende HIV-Infizierte waren als ZeugInnen geladen. Umstritten war auch der Tagungsort in dem Pariser Kongreßzentrum „Kleber“ weitab des Palais de Justice sowie die Zusammensetzung des Gerichtes: Neben drei Berufsrichtern hatten zwölf Politiker aus den beiden Kammern des französischen Parlamentes über ihre angeklagten Ex- KollegInnen zu befinden. „Komplizen“, lautete erwartungsgemäß der Vorwurf, der sowohl aus der französischen Öffentlichkeit als auch aus der Justiz kam. Selbst der Vorsitzende Richter, Christian Le Gunehec, bezeichnete das Verfahren anfangs als „absurd“.

Eine der drei Angeklagten, Ex- Sozialministerin Georgina Dufoix, fand bereits vor Jahren den griffigen Spruch: „Ich bin verantwortlich, aber nicht schuldig.“ Ihre VerteidigerInnen plädierten auf Freispruch.

Die drei SpitzenpolitikerInnen sind die ersten Ex-MinisterInnen der V. Republik, die wegen ihrer Regierungsarbeit vor Gericht stehen. Doch dieses Sonderverfahren konnte weder ihre Unschuld überzeugend beweisen noch klare Hinweise auf ihre strafrechtliche Verantwortung liefern. Dorothea Hahn

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen