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„Die treten wohl auf die Bremse“

Wenn RWE-Chef Kuhnt droht, wegen der Steuerreform auf Garzweiler II zu verzichten, ist das nur der Versuch, sich elegant von dem Projekt zurückzuziehen  ■ Von Michael Bauchmüller

Bauer Dünnschede schwankt zwischen Hoffen und Bangen. Dreißig Hektar Acker besitzt seine Familie im niederrheinischen Pesch und Umgebung, Rüben, Kartoffeln, alter Erbbesitz. Das Problem der Bauersleute heißt Garzweiler. Seit 1981 leben sie im Ungewissen darüber, ob sie Haus und Hof irgendwann für den Braunkohletagebau aufgeben müssen. Vor ein paar Monaten hat Garzweiler II nun mit der wasserrechtlichen Genehmigung die letzte große Hürde genommen. Die große Enttäuschung ist aber vorläufig ausgeblieben. Denn ausgerechnet jetzt, wo alle Welt denkt, die Sache sei besiegelt, dürfen die Gegner plötzlich hoffen, daß sich der Tagebau von selbst erledigt.

Mit der Liberalisierung des Strommarktes zählt jeder Pfennig Vorsprung vor der Konkurrenz. Die Erdgaspreise befinden sich im Tiefflug und setzen die Braunkohle kräftig unter Druck. Das läßt das Bergbauunternehmen Rheinbraun und den Mutterkonzern RWE nicht kalt: Die Debatte, ob sich Garzweiler II noch lohnt, ist in vollem Gang. Zugeben mag das im Konzern allerdings niemand.

Gleichzeitig mehren sich aber die Anzeichen, daß der Energie- Riese vorsichtig Abstand von dem Großprojekt nimmt. Zuerst tauchte da das berüchtigte Farnung-Papier auf, in dem das RWE- Vorstandsmitglied prophezeite, die Braunkohle werde dem Unternehmen jährlich eine halbe Milliarde Miese einbringen. Zwar behaupten RWE und Rheinbraun hartnäckig, das Papier sei reine Erfindung. Aber dafür haben es schon zu viele gesehen.

So erscheinen auch die Bemühungen des Konzerns, den Stromableger RWE Energie neu zu strukturieren, in einem anderen Licht. Die neue Struktur hätte zur Folge, daß sich die Braunkohle gegen andere Energieträger, etwa Gas- und Kernenergie, behaupten muß. RWE und Rheinbraun weisen das zurück. Werner Hlubek, der im RWE- Vorstand für die Kraftwerke zuständig war, ein altbekannter Braunkohlebefürworter und Verfechter des Bestehenden, hat keine Lust mehr und nimmt demnächst seinen Hut. Ob ihm ein Braunkohle-Freund folgen wird, ist fraglich. Was stimmt nun?

Vor diesem Hintergrund erhält der Versuch von RWE-Chef Dieter Kuhnt, Garzweiler II mit seinen angeblich rund 15.000 Arbeitsplätzen als Geisel gegen die Steuerreformvorhaben der Bundesregierung zu nehmen, eine ganz andere Dimension. Man werde alle Investitionen auf den Prüfstand stellen, wenn der Finanzminister beim Steuerentlastungsgesetz nicht in der Frage der steuerfreien Rückstellungen mit sich reden lasse, hatte der Vorstandsvorsitzende vor einer Woche gedroht. „Wenn wir die Rückstellungen auflösen müssen, können wir uns Garzweiler II nicht leisten.“

Die nordrheinwestfälische Umweltministerin Bärbel Höhn glaubt, daß hinter dem aggressiven Vorstoß Kuhnts nur der angestrengte Versuch steht, eine gesichtswahrende Begründung für den Rückzug von RWE zu finden. Zumal Kuhnt ungewollt auch deutlich gemacht habe, „daß sich die Braunkohle doch nicht alleine finanziert, sondern nur durch Steuervorteile oder sogar durch Quersubventionierungen“.

Auch Dirk Jansen, Landesgeschäftsleiter des BUND in Nordrhein-Westfalen, sieht Hinweise darauf, daß doch noch alles gut wird für die Tagebaugegner. Das Herangehen des Konzerns an den – längst genehmigten – Ausbau des Braunkohlekraftwerkes in Niederaußem komme ihm „auffällig zaghaft“ vor, sagt er: „Die scheinen da auf die Bremse zu treten.“ Und Günter Plugge, Geschäftsführer des größten Widerstandsnests gegen Garzweiler II, der „Vereinten Initiativen“, hat beim Blick in den RWE-Finanzplan festgestellt, daß für den Neubau von Kraftwerksblöcken „eigenartig wenig Geld angesetzt“ sei.

Sollte das Unternehmen das Projekt tatsächlich platzen lassen wollen, bietet sich möglicherweise eine Teillösung als Ausweg, bei der sich Rheinbraun mit einem Drittel des Tagebaues begnügt – dieses Gebiet wird zur Entsorgung des Abraums aus Garzweiler I benötigt. Ein Großteil der Kraftwerksinvestitionen fiele aber flach und Rheinbraun und RWE könnten sich relativ elegant zurückziehen und viel Geld sparen. Schließlich hatte RWE dereinst der Landesregierung Investitionen in Milliardenhöhe versprochen, wenn Garzweiler II Wirklichkeit wird.

Trotzdem wollen sich die Tagebaugegner nicht allein darauf verlassen, daß die wirtschaftlichen Entscheidungen von RWE und Rheinbraun in ihrem Sinne ausfallen. So hat die Stadt Linnich vorsorglich Widerspruch gegen die wasserrechtliche Genehmigung eingelegt und zur Begründung ein geologisches Gutachten hervorgeholt, nach dem Rheinbraun über Jahrzehnte von falschen Annahmen ausgegangen war, was die Folgen der sogenannten Sümpfung, der Absenkung des Grundwassers, angeht. Der Studie zufolge gräbt die Firma weit mehr Gegenden das Wasser ab als bisher vermutet. Folgeschäden wie Risse in Häusern oder trockene Bäche könnten sich nicht mehr auf das enge Gebiet begrenzen lassen, das für Rheinbraun und Behörden bislang bis zur „bergbaubedingten Beeinflussungslinie“ reichte. So neu ist das Gutachten allerdings nicht. Umweltministerin Höhn hatte es vorliegen, als sie die wasserrechtliche Genehmigung erteilt hat, und laut ihrer Pressesprecherin auch in die Auflagen einbezogen, die sie Rheinbraun gemacht hat.

Aber schließlich gibt es auch noch ein paar andere mögliche Widersprüche, an deren Begründungen noch gefeilt wird. Dabei geht es vor allem umwelttechnische Gesichtspunkte. Die Fauna-Flora- Habitat-(FFH)-Richtlinie der EU, die dann greifen könnte, wenn durch die Absenkung von Grundwasser schützenswerte Landschaften wie der Naturpark Schwalm- Nette bedroht sind, war kurzerhand aus der Genehmigung ausgelagert worden. In Brüssel, erwartet BUND-Mann Dirk Jansen, „wird man auf diese Geschichte mit Sicherheit allergisch reagieren“.

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