: Das politische Österreich ist geschockt. In Kärnten wurde die FPÖ mit Abstand stärkste Partei. Ihr charismatischer, rechtslastiger Vorsitzender Jörg Haider ist Anwärter auf das Amt des Landeshauptmanns. SPÖ und ÖVP zimmern an einer Verhinderungsstrategie Aus Wien Ralf Leonhard
Eine Lawine namens Haider
Zur Siegesfeier erschien Jörg Haider in Schlips und dunklem Anzug. Der populäre Trachtenjanker aus dem Wahlkampf war im Schrank geblieben. Der wortgewaltige Polterer gab sich in der Stunde des Triumphs staatsmännisch, überlegen und gemäßigt: „Ich muß ja überhaupt nicht Kanzler werden. Wenn ich ein guter Landeshauptmann bin und das Volk mich braucht, mache ich hier sicher weiter.“
Das glaubt ihm kaum jemand. Und ob er überhaupt Landeshauptmann wird, ist trotz des rauschenden Wahlsiegs noch nicht ausgemacht. Die Kärntner Wahl hat in Wien Katastrophenstimmung ausgelöst. Die Freudenrufe der Haider-Fans in Klagenfurt wurden in den Wiener Parteizentralen der Regierungsparteien SPÖ und ÖVP als Alarmsirenen gehört. „Verhindert Haider“-Parolen machten die Runde. Wenn er einmal in Kärnten an der Macht ist, so die Überlegung, werde er nicht mehr zu bremsen sein.
Und so beschlossen gestern sowohl Kärntner ÖVP wie Kärntner SPÖ, ihn bei der Wahl zum Landeshauptmann nicht zu unterstützen. Zumindest bei den Sozialisten des Bundeslandes dürfte sanfter Druck aus der Parteizentrale in Wien mitgespielt haben, wo am Montag morgen hektisch beraten wurde. Denn in der Landespartei waren durchaus auch andere Töne zu vernehmen: „Alles andere, als Haider zum Landeshauptmann zu machen, wäre ein schwerer Fehler“, gab ein einflußreicher Kärtner Genosse zu Protokoll.
Seine Haltung hat sich nicht durchgesetzt. Die Wahlverlierer sind sich vorerst einig: Ein Landeshauptmann Haider soll „mit allen Mitteln“ verhindert werden. „Keine Verhandlungen“ werde man mit der FPÖ führen.
Damit stehen beide Parteien in starkem Gegensatz zur öffentlichen Meinung und den meisten Medien in Österreich. Sie fordern, Haider müsse als Exponent der stärksten Partei seine Chance bekommen.
Und sein Wahlsieg war mit 42,1 Prozent, ein Zuwachs von fast neun Prozent, in dieser Höhe völlig unerwartet. Die ÖVP-Ergebnis hat mit einem Minus von 3,1 Prozent nur 20,7 Prozent der Stimmen erreicht. Trotzdem bestätigte sie den Vorsitzenden, den derzeitigen Landeshauptmann Zernatto, im Amt. Die SPÖ fuhr mit 32,9 Prozent ein Minus von 4,5 Punkten ein. Ihr Landeschef Michael Ausserwinkler kehrte unmittelbar nach Bekanntwerden der ersten Hochrechnung der Politik den Rücken und zog sich in seine Arztpraxis zurück. Sein kurzfristiger Nachfolger Dietfried Haller gilt als ausgesprochen schwach.
Unter dem Eindruck des Haider-Sieges in Kärnten sind die professionellen Wahlanalytiker, die sonst für jeden Trend eine Erklärung bei der Hand haben, sprachlos. Als einzige Partei konnte die FPÖ in allen drei Bundesländern, in denen am Sonntag gewählt wurde, zulegen. In Kärnten legte sie auch in Gemeinden mit starkem slowenischem Bevölkerungsanteil zu. In diesen Orten hat zwar das Bündnis „Demokratie 99“, zu dem sich Grüne Liberale und die slowenische Einheitsliste zusammengeschlossen haben, überdurchschnittliche Ergebnisse erzielt. Die Gruppierung scheiterte mit 3,9 Prozent aber an der Zehnprozenthürde für den Einzug ins Landesparlament.
In Salzburg und Tirol blieb die FPÖ jeweils knapp unter 20 Prozent, doch konnte sie in Tirol mit einem Plus von 3,5 Prozent den Sozialdemokraten (21,8 Prozent) dicht auf den Pelz rücken. Daß die christdemokratische ÖVP in Tirol wider alle Voraussagen ihre absolute Mehrheit halten konnte, wird allgemein auf den Lawinen-Bonus zurückgeführt. Nach den Lawinenkatastrophen im Tiroler Paznauntal stellte Landeshauptmann Wendelin Weingartner den Wahlkampf ein und trat als omnipräsenter Landesvater in Erscheinung. Die SPÖ wurde durch das Ergebnis von Salzburg, wo sie sich von 27 auf 32,3 Prozent steigerte, für die Kärntner Schlappe nur unzureichend entschädigt.
Der geschlagene SPÖ-Spitzenkandidat Ausserwinkler meinte selbstkritisch, er hätte die Wirkung der unerfüllbaren Wahlversprechen Haiders unterschätzt: „Es wird sich zeigen, daß Versprechungen wie Kinderschecks von 5.000 Schilling (rund 700 Mark) pro Mutter und Kind oder ein Einkommenszuwachs von 85.000 Schilling (12.000 Mark) pro Jahr für jeden Arbeitnehmer nicht zu finanzieren sind. Aber die Wähler haben der FPÖ diesmal eben geglaubt.“ Daß Haider, der traditionell eher von Männern gewählt wird, dank seiner Kinderschecks bei den Müttern punkten konnte, ist anzunehmen. 25.000 Stimmen von den insgesamt 138.816 der Freiheitlichen sind laut einer Wählerstromanalyse allein von der SPÖ zugewandert, immerhin 10.000 von der ÖVP. Inwieweit Haider bei den Erstwählern abgeräumt hat, ist schwer zu sagen, da die Wahlbeteiligung um 5 Prozent niedriger lag als bei den Landtagswahlen 1994.
Der Meinungsforscher Franz Birk hält den FPÖ-Sieg auch für das Ergebnis einer Protestwahl: „Ein Drittel der Kärntner lebt in engen ökonomischen Verhältnissen. Je enger, desto größer der Protest.“ Ohne den charismatischen Populisten Haider habe er jedoch nicht erzielt werden können. Sein Kollege Werner Beutelmeyer ortet einen Wertewandel in der Gesellschaft: „Die Stammwähler sterben aus, unberechenbare Wähler nehmen zu.“ Haiders Erfolg habe nicht zuletzt mit den austauschbaren politischen Profilen der Parteien zu tun: „Jeder bemüht sich um Lebensqualität und Arbeitsplätze.“ Im Einheitsbrei der Politik sei Haider „ein Politiker, der für etwas steht, prägnant ist, sich deutlich unterscheidet. Er polarisiert.“ Daraus folge, daß es die falsche Strategie sei, die politische Mitte anzusprechen: „Die gibt es nicht mehr.“
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