"Uns fehlt Kraft und Autorität"

■ Der grüne Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir zur Kunst der Oppositionspartei FDP, eine der wichtigsten Reformen der rot-grünen Regierung zu sabotieren: das neue Staatsbürgerschaftsrecht

taz: Ohne die FDP ist die Reform zur erleichterten Einbürgerung nicht durch den Bundesrat zu bringen. Heute hat FDP-Chef Gerhardt in Bonn auch den neuesten Entwurf von Rot-Grün vom Tisch gefegt. Da kann man das Gefühl kriegen, die FDP ist zurück an der Regierung. Teilen Sie den Eindruck?

Cem Özdemir: Ich vergleiche das mit der Türkei: Da kann man wählen, was man will, man kriegt immer Ecevit und Demirel. In Deutschland kann man wählen, was man will, und man kriegt immer FDP.

Wieso schaffen Sie es nicht, das zu verhindern? Sie sind an der Regierung.

Weil unser Kanzler ein Kanzler ist, der meint, daß man sich immer auf den nächsten Sonntag positionieren muß. Er meint offenbar nicht, daß man für gesellschaftlich wichtige Projekte um Mehrheiten werben muß.

Schröder ist schuld?

Mein Hauptvorwurf ist, die neue Regierung hätte gleich nach Abschluß der Koalition einen Runden Tisch machen müssen mit allen wichtigen Vertretern des öffentlichen Lebens. Das Ergebnis wäre gewesen, daß zwei Männer sehr isoliert dagestanden wären: Stoiber der eine, Schäuble der andere. Da wäre klar geworden, daß außer den beiden jeder ein liberaleres Staatsangehörigkeitsrecht möchte. Jetzt dagegen sieht es so aus, als ob Rot-Grün da irgend etwas Verrücktes plant.

Warum haben Sie das damals nicht angeregt?

Weil das eine Chefsache ist. Ich habe sehr frühzeitig den Vorschlag gemacht, einen Pakt für Integration zu schließen. Aber ich bin ein Abgeordneter der kleinen Regierungsfraktion, und die kann so was nicht machen – dafür fehlt uns die Kraft und die Autorität.

Der FDP-Vorsitzende Wolfgang Gerhardt lehnt auch den jüngsten Schily-Vorschlag ab und sagte heute in Bonn: „Die Grünen müssen jetzt springen.“

Alle müssen springen. Auch die FDP. Daß die einen den anderen ein Stöckchen hinhalten, ist nicht akzeptabel. Wir sind gesprungen, indem wir akzeptiert haben, daß es eine Optionslösung geben muß statt der generellen Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft. Aber wir werden sicher nicht ins Loch springen.

Der FDP scheinen Ihre Forderungen egal zu sein. Die sagen: Unsere Zustimmung kriegt ihr nicht.

Ich habe zunehmend das Gefühl, daß es der FDP nicht mehr um die Sache geht. Das ist für sie kein Herzensanliegen, da wird nur technokratisch drangegangen. Ich appelliere an die FDP, an den Verhandlungstisch zurückzukehren.

Gerhardt sagt, die Grünen seien auf dem Holzweg, wenn sie mit der FDP verhandeln wollten. Es werde keine Kompromisse geben. Was machen Sie?

Der neueste Entwurf aus dem Hause Schily ist ja bereits ein Kompromiß, der mit der FDP getroffen wurde.

Das ist mir neu.

Der Entwurf Schily ist mit FDP- Generalsekretär Westerwelle und anderen besprochen worden, insofern kann sie nicht sagen, sie hätte davon nichts gewußt. Ohnehin ist der Entwurf viel näher an dem Modell von Rheinland-Pfalz als an Rot-Grün.

Aber ist das nicht nur ein Detail, wenn die FDP jetzt verlangt, beim Doppelpaß auf Ausnahmen für die über 60jährigen zu verzichten?

Damit sagt man den ältesten Einwanderern, der ersten Generation: Ihr dürft in Deutschland sterben, aber nicht als deutsche Staatsbürger. Das ist absolut inhuman. Interview: Patrik Schwarz