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Ex-MinisterInnen gehen straffrei aus

Im Pariser HIV-Prozeß halten die Richter nur Ex-Gesundheitsstaatsekretär Hervé für schuldig an der Übertragung von Aids-Viren. Fabius und Dufoix wurden rehabilitiert. Proteste vor dem Gericht  ■   Aus Paris Stefan Brändle

Protestrufe begleiteten gestern morgen die Verlesung des Urteils. „Mörder“, schrie der Angehörige eines Opfers dazwischen. Der Gerichtspräsident verlas das 19seitige Verdikt mit stoischer Ruhe, nachdem die 15 Richter – darunter zwölf Politiker aus beiden Kammern des französischen Parlaments – mehr als eine Woche beraten hatten. Den früheren sozialistischen Premierminister und heute 52jährigen Parlamentspräsidenten Laurent Fabius sowie seine Sozialministerin Georgina Dufoix sprachen sie von jeder Schuld frei. Die beiden hätten nichts zu tun mit der wissentlichen Abgabe von HIV-verseuchten Blutkonserven, durch die 1985 rund 4.000 Personen infiziert wurden und die seither bereits rund 600 Menschenleben gekostet haben.

Für schuldig erklärte der erstmals zusammengetretene „ Gerichtshof der Republik“ (Cour de la République) hingegen den damaligen Gesundheitsstaatssekretär Edmond Hervé.

Er habe in zwei der sieben im Prozeß behandelten Fälle die Verantworung für die Übertragung von Aidsviren. So habe er die Umsetzung eines wirksamen Bluttests nicht durchgesetzt und sei gegen die vorsätzliche Abgabe von HIV-verseuchten Blutkonserven durch das nationale Blutzentrum nicht eingeschritten.

Hervé, heute Bügermeister der bretonischen Stadt Rennes, erhält trotzdem keine Strafe. Begründung: Er sei in den vierzehn Jahren seit dem Skandal und der fünfjährigen Ermittlungssdauer bereits genug kritisiert worden, habe politisch bereits Sühne geleistet und

habe nicht von der normalen Unschuldsvermutung profitieren können.

Die Anwälte der Opfer kritisierten das „lächerliche“ Urteil und sprachen von einer „doppelten Justiz“, die für hohe Politiker, für die der Sondergerichtshof 1993 eigens eingerichtet worden sei, andere Maßstäbe anlege als für Normalsterbliche.

Der Neogaullist Jean-Louis Debré meinte gestern in einer ersten Reakton auf das Urteil, es sei schon ein Erfolg für die französische Rechtsprechung, daß ein Gericht überhaupt hohe Regierungsvertreter beurteilt habe. Sozialistenchef François Hollande fügte an, eine Reform des Gerichtshofes dränge sich auf, da die Politiker die Justiz den Profis überlassen sollten. Der Verfassungsrechtler Olivier Duhamel erklärte, die Richter versuchten offensichtlich den Anschein eines salomonischen Entscheides zu wecken.

„Das Schlimmste war zu befürchten, doch die Erwartungen wurden noch übertroffen“, meinte gestern eine französische Rechtsprofessorin. Schon vor dem Prozeß war klar gewesen, daß das Sondergerichtsverfahren kaum zu einem befriedigenden Ergebnis führen konnte: Wie soll ein mehrheitlich aus Politikern gebildetes Richtergremium andere Politiker beurteilen, zumal es sich bei manchen Richtern um Partei- und persönliche Freunde der Angeklagten handelt? Und wie sollen diese „Laienrichter“ Licht in das verfilzte Dickicht aus medizinischer, politischer und wirtschaftlicher Verantwortung bringen, das sich um einen der größten Skandale der französischen Nachkriegsgeschichte rankt?

Der dreiwöchige Prozeß selbst war in Frankreich vielfach als Farce kritisiert worden. Die Opfer waren darin nur als Zeugen zugelassen. Eine kontroverse Debatte gab es nicht. Der Staatsanwalt stellte artige Fagen, hakte nicht richtig nach und verlangte am Schluß des Verfahrens selbst einen Freispruch.

Opfer und Angehörige mußten aus den Publikumsreihen mitverfolgen, wie die Angeklagten in den Pausen mit dem Staatsanwalt plauderten; verzweifelt, oft den Tränen nah, schrien sie „Lügner“ in den Saal, wenn einer der Minister sich verteidigte. Ihre Zwischenrufe verhallten ohne Echo.

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