: Auch Deutschland genießt EU-Strukturförderung
■ 5,4 Milliarden Mark Förderung sind im laufenden EU-Programm allein für die neuen Länder vorgesehen. Doch manch teuer gefördertes Gewerbegebiet modert vor sich hin
Berlin (taz) – Ganz Ostdeutschland hat bei der Ausstattung mit EU-Fördergeldern erste Priorität. Und das wird – mit Ausnahme von Ostberlin – aller Voraussicht nach auch im Jahr 2000 so bleiben.
Nach bisheriger Regelung gilt eine Region dann als Ziel-1-Fördergebiet, wenn das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf weniger als 75 Prozent des EU-Durchschnitts beträgt. Das trifft auf Ostdeutschland nach wie vor zu: Zwischen Stralsund und Eisenach ist man erst bei 65 Prozent angekommen – was allerdings einen enormen Zuwachs gegenüber 1991 darstellt, als der Wert bei 37 Prozent lag. Allerdings ging dem Aufschwung 1995 die Puste aus. Und seit zwei Jahren liegen die Wachstumsraten in Ostdeutschland sogar niedriger als in den alten Bundesländern.
Im Juli 1994 hatten Bund, Ostländer und EU-Kommission eine Vereinbarung getroffen: 13,6 Milliarden Ecu (rund 27 Milliarden Mark) Strukturhilfe sollten in den nächsten fünf Jahren nach Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Ostberlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern fließen. Ergänzt werden mußten die Mittel in etwa gleicher Höhe von Bund, Ländern und Gemeinden. Am meisten Geld erhofften sich die Politiker allerdings von privaten Kofinanziers, die noch einmal fast den gleichen Betrag wie die öffentlichen Hände oben drauflegen sollten. Doch die hielten sich zurück und investierten in den ersten zwei Jahren nur halb soviel wie geplant.
Selbst Experten blicken oft nicht mehr durch, wenn es um die vielen EU-Fördertöpfe geht. Da gibt es Hilfen für Dorferneuerung, Wegebau, Gewerbegebiete, für Forschung, Fischerei und Bildung. Oft werden Projekte durch verschiedene Programme unterstützt.
Grob kann man die Hilfen in drei Gruppen einteilen: Unterstützung privater Investitionen, Ausbildung und Verbesserung der Infrastruktur. Die Chemieindustrie konnte die meisten Fördergelder unter den privaten Investoren abgreifen. Ansonsten verteilten sich die Gelder relativ gleichmäßig auf die Branchen. Bei der Verbesserung der Infrastruktur hatten in Mecklenburg-Vorpommern touristische Projekte gute Chancen auf Unterstützung. Thüringen setzte dagegen besonders lange auf neue Gewerbegebiete, obwohl es sich dabei vielerorts um beleuchtete Schafweiden handelt, weil sich nicht genügend ansiedelungswillige Betriebe finden. 2.400 Hektar Gewerbeflächen wurden bisher mit EU-Hilfe erschlossen.
Auch bei der Unterstützung der Dorferneuerung setzten die Länder unterschiedliche Prioritäten: Brandenburg konzentrierte die Gelder auf wenige ausgewählte Orte, während in den anderen Bundesländern fast jedes zweite Dorf ein paar Mark erhielt. Der Effekt dieser Gießkannenförderung war dann allerdings kaum sichtbar, wie Fallstudien aus Sachsen belegen.
An Arbeits- und Ausbildungsfördermaßnahmen, die aus Brüssel mit finanziert wurden, nahmen zwischen 1994 und 1996 – neuere Zahlen liegen nicht vor – knapp 730.000 Menschen teil. Weitgehend verpufft sind dabei Qualifizierungen, bei denen die Leute nur ein paar Stunden in der Woche etwas Neues lernten. Und nur jeder vierte, der an einer Vollzeitfortbildung teilgenommen hatte, schaffte auch den Sprung auf den ersten Arbeitsmarkt.
Die 1994 formulierten Wachstumsziele wurden dank der hohen Zuwachsraten in den ersten beiden Jahren erreicht: Ohne die Ziel-1- Förderung läge das Bruttoinlandsprodukt in Ostdeutschland um 3,6 Prozent niedriger, schätzt das Ifo- Institut für Wirtschaftsforschung. Die Zahl der Jobs blieb dagegen hinter den Erwartungen zurück: Nur 100.000 Arbeitsplätze waren nach Schätzungen 1996 auf die EU-Hilfen zurückzuführen.
Ende dieses Jahres laufen die Programme aus. Bei den anstehenden Verhandlungen über die Zukunft der EU-Strukturfonds geht es der Bundesregierung vor allem darum, die Überweisungen aus Bonn zu senken. Denn auch bei der Ziel-1-Förderung fließt mehr Geld aus Deutschland nach Brüssel, als von dort zurückkommt. „Doch ein vollständiger Verzicht auf die Förderung der Ziel-1-Gebiete ist wohl kaum durchsetzbar“, sagt Christian Weise, Europaexperte beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW).
So wird die Bundesregierung vermutlich versuchen, zumindestens die Fördersätze der Ziel-1- Gebiete europaweit aneinander anzugleichen. Denn bisher bekommt Griechenland einen höheren Satz pro Einwohner als Ostdeutschland, weil bei der Berechnung neben dem regionalen auch das nationale Einkommen eine Rolle spielt. Annette Jensen
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