: Eine Nacht im November 1938
„Alle Berichte über Plünderungen und über Zerstörungen von jüdischem Eigentum sind erstunken und erlogen“, klärt NS-Propagandaminister Joseph Goebbels am späten Vormittag des 10. November 1938 eine verblüffte Schar von Auslandsjournalisten über die Reichspogromnacht auf. „Den Juden ist kein Haar gekrümmt worden.“
Beteiligte und Betroffene sehen die Auswirkungen der Nacht vom 9. auf den 10. November allerdings anders. „Die Glas- und Holzsplitter lagen so hoch, daß wir zwei Verbandsstationen einrichteten, in denen den aufräumenden Mitarbeitern Wunden an Füßen, Beinen, Händen und Armen verbunden wurden“, schildert ein Hamburger Kaufmann die Verwüstung seines Textilgeschäfts. Und der auch für Hamburg zuständige SD-Oberabschnitt (Sicherheitsdienst) Nordwestdeutschland meldet neben der „Zerstörung jüdischer Geschäfte und der Büroräume jüdischer Organisationen“, daß „die Synagogen entweder demoliert, in Brand gesteckt oder gesprengt“ wurden. 21 Menschen seien in Norddeutschland bei dem Pogrom getötet worden.
Vorwand dafür war ein Attentat: Am 7. November 1938 schießt der 17jährige Herschel Grünszpan in Paris auf den deutschen Diplomaten Ernst vom Rath – verzweifelt über die Ausweisung seiner polnischen Eltern aus Nazideutschland. Vom Rath stirbt zwei Tage später, und aus München schreit Goebbels nach Vergeltung: Juden seien systematisch anzugreifen, ihre Geschäfte zu zerstören, ihre Synagogen in Brand zu setzen. Das geschieht – überall in Deutschland – noch in der Nacht. SA-Männer, in Zivil, um angeblichen Volkszorn zu demonstrieren, aber auch in Uniform greifen an – in Hamburg zunächst die religiösen Stätten. „Die Synagogentür war aufgebrochen, Fensterscheiben und -flügel ausgeschlagen (...)“, beschreibt ein Zeuge die zerstörte Hauptsynagoge Bornplatz im Grindelviertel. Andere NS-Schergen ziehen derweil in die Hamburger Innenstadt und verwüsten jüdische Geschäfte. Die Polizei steht tatenlos dabei, die Feuerwehr achtet darauf, daß durch die Brände kein arischer Besitz zu Schaden kommt.
Und es werden Menschen jüdischen Glaubens vergewaltigt, getötet, verhaftet. Die „Reichskristallnacht“, wie der staatlich gelenkte Terrorismus im NS-Volksmund genannt wurde, ist der Auftakt zur Vernichtung der deutschen Juden. bit
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