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Wundenlecken einmal rund um das Ollenhauerhaus

■ Nach Oskar Lafontaines Abgang hoffen manche Sozialdemokraten auf eine "neue Orientierung" der Partei. Doch noch mag niemand sagen, wie die eigentlich aussehen soll. Die Verlierer stehen jedoc

Vor der SPD-Parteizentrale steht ein Plakat mit dem schwarz- weißen Konterfei des Bundeskanzlers. Darauf ist zu lesen: „Mit Kritik können wir leben, mit Jugendarbeitslosigkeit nicht.“ Seit gestern sind einige Sprüche dazugekommen. Mit Wachsmalstift wurde hinzugefügt: „Wenn sie nicht von Oskar kommt“. Und auf einem weißen Plakat steht: „Gerhard und Oskar, vertragt Euch wieder, bitte. Euch beide haben wir gewählt. Im Team seid Ihr stark. Streit nützt nur den Bossen.“

Angebracht hat diese Sprüche Ulli aus Reutlingen. Spontan ist er nach Bonn gefahren, um ein Zeichen zu setzen: Daß Lafontaine wichtig ist für die Partei und daß er nicht fair behandelt worden ist.

Politprofis der SPD reagieren da nüchterner. Der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Glogowski etwa, der zwar pflichtschuldig bedrückt erschien, aber vorausblickend feststellte, daß jetzt die eine oder andere Frage beim Energiekonsens anders betrachtet werden könne. Kaum ein Genosse sagte es allerdings so brutal wie der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck: „Es gibt jetzt eine Chance, einen Neuanfang zu machen.“

War ein Neuanfang also überfällig? War Lafontaine an dem unterstellten Schlamassel schuld? Die meisten sagen, es sei noch zu früh, darüber zu reden. „Wer glaubt, er weiß schon, wo es nun langgeht“, sagt der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion Dieter Wiefelspütz, „liegt daneben.“ Die Partei werde Zeit benötigen, um sich „neu zu orientieren“.

Wird durch Lafontaines Rücktritt endlich der Weg dafür frei, oder ist die SPD gezwungen, sich zu verändern, weil der Mann, der wie kein anderer für ihre Identität steht, das Feld geräumt hat? Ein Sozialdemokrat, der nicht namentlich genannt werden möchte, sagt: „Ich fühle mich jetzt nicht mehr so zu Hause in der SPD wie vorher.“

Wiefelspütz steht für diejenigen in der SPD, die den Rücktritt Lafontaines zwar aufrichtig bedauern, aber in ihrem Innersten auch ein bißchen erleichtert sind. Einerseits lobt er, daß Lafontaine für die SPD seit Willy Brandt das „Herz und der Kopf“ gewesen und der Wahlsieg in hohem Maße ihm zu verdanken sei. Andererseits, sagt er, hätten Schröder und Lafontaine einfach nicht zusammengepaßt. Zudem sei Lafontaine, wie häufig bei Hochbegabten, vielleicht ein wenig zu ideologisch und rechthaberisch. „Schauen Sie, wie der Dax seit Lafontaines Rücktritt gestiegen ist“, sagt Wiefelspütz. „Der Dax ist die Einschaltquote der Politik.“ Folgt die Partei also zukünftig einmütiger als bisher dem Schröder-Kurs, erst recht da dieser ja bald auch SPD-Vorsitzender sein wird? Aber welcher Kurs soll das sein? Lafontaine, heißt es, habe wenigstens konzeptionell etwas entwickelt. Schröder habe das noch nie getan. Selbst Parteifreunde, die eher auf Schröders Linie liegen, sehen darin ein Problem: die Herausforderungen der Globalisierung, die neue Medienwelt, die im Umbruch begriffene Arbeitsgesellschaft verlangten nach Konzepten. Reine Machtpolitik reiche nicht für einen gesellschaftlichen Entwurf. Dennoch haben sich seit der Bundestagswahl immer mehr Sozialdemokraten auf die Seite von Schröder geschlagen. Ohne großes Gemurre haben sie den Rückzieher bei den 630-Mark- Jobs akzeptiert, die Verschiebung der Atomnovelle hingenommen und weitgehend auch das Einknicken beim Staatsbürgerschaftsrecht mitgemacht. Wiefelspütz spricht davon, daß sich das politische Gewicht kraft des Kanzleramtes verschoben habe. Als Beispiel nennt er das Thema Staatsangehörigkeit. Er selbst hält den ersten Gesetzentwurf von Innenminister Otto Schily für einen „großen Entwurf von europäischem Format“. Er habe aber erkennen müssen, daß die Mehrheit der Bevölkerung anders darüber denke, daß es Ängste gebe, die manipulierbar seien.

Düster in die Zukunft schauen vor allem die Parteilinken. Am ungeniertesten äußert sich die Juso- Vorsitzende Andrea Nahles. Lafontaine sei der letzte, der hätte zurücktreten sollen, weil er im Kern sozialdemokratische Politik vertreten habe. Nahles hat ohne ihren Förderer nicht mehr viel zu verlieren. Schröder spricht von ihr gerne als „die Dings“.

Ähnlich geht es dem profilierten Parteilinken Michael Müller. Ohne das Korrektiv Lafontaine, vermutet der stellvertretende Fraktionsvorsitzende, werde sich die SPD in eine konservativere Richtung entwickeln. Für ihn, so Müller, laufe jetzt alles auf eine Große Koalition hinaus.

Rudolf Dreßler, das sozialdemokratische Urgestein, sprach ungeschminkt in die Kameras: „Für mich ist der Rücktritt Lafontaines der GAU, der größte anzunehmende Unfall.“ Aus seinem Umfeld heißt es, bisher habe es in der SPD ein gut austariertes Miteinander der verschiedenen Strömungen gegeben, die durch Schröder und Lafontaine repräsentiert wurden. Dieses Gefüge könne jetzt ins Rutschen geraten. Es sei wie mit einem Gruppenbild, aus dem man eine Person herausschneide. „Ist das dann noch ein Bild?“

Andererseits stellt sich die Frage, wie groß der Rückhalt für Lafontaine in der Partei noch war. Groß natürlich, sehr groß, aber eben nicht mehr so sehr wie noch vor der Bundestagswahl. Selbst zu den Parteilinken hatte sich zuletzt eine Distanz aufgebaut. Ausgerechnet Andrea Nahles hatte ihn heftig kritisiert, weil er nach der Hessen-Wahl beim Staatsbürgerschaftsrecht eingeknickt war. Gemeinsam mit Annelie Buntenbach von den Grünen sammelte sie Unterschriften gegen die Veränderung des Gesetzentwurfs. Lafontaine soll getobt haben. Auch Lafontaines Haltung gegenüber der PDS brachte ihm Kritik aus den eigenen Reihen ein. Schröder ist zwar gleicher Meinung, aber Lafontaine bekam die Prügel ab.

Der Rücktritt sei jedenfalls keine Folge des angespannten Verhältnisses zwischen Schröder und Lafontaine, sagt Regierungssprecher Uwe Karsten Heye. Doch genau kann er es nicht wissen. Denn Lafontaine war gestern auch für Schröder nicht zu erreichen. Markus Franz, Bonn

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