: Zu Gast im Knast
Resozialisierung, ernst genommen: Das Strafgefangenentheater KiK in Fuhlsbüttel. Eine etwas andere Rezension ■ Von Liv Heidbüchel
Die Schwingtür öffnet sich automatisch und fällt nach dem Passieren sofort wieder ins Schloß. Erst dann öffnet und schließt sich die nächste Tür, genauso automatisch und genauso schnell. Man steht in einem gepflasterten Hof, auf der Mauer pittoresk geschwungener Stacheldraht. Klingt nach Knast. Ist es auch.
Noch ein, zwei Türen, dann steht man in der Kapelle der JVA Fuhlsbüttel. Eine schöne Kapelle, viel Holz, freundlich. Dazu geschäftiges Treiben. Aber auch Aufregung, Nervosität. Immerhin steht ein Gastspiel auf dem Plan, mit dem es einige Bewandtnis hat. Der Verein Kultur im Knast, kurz KiK, präsentiert seine zweite Produktion. Das Stück: Wie dem Herrn Mockinpott das Leiden ausgetrieben wird von Peter Weiss. Die Mitwirkenden: gut 20 Strafgefangene der JVA Celle Salinenmoor.
Daß hin und wieder externe Künstler im Knast auftreten, ist ein alter Hut. Neu ist die Idee, interne Kreativität zu fördern. Mit Erfolg, wie die neue Inszenierung von Regisseur Ralf Siebelt beweist. In Zusammenarbeit mit seinen Kollegen vom Celler Schloßtheater – dem Dramaturgen Winfried Tobias, der Kostümbildnerin Pia Wessels und dem Bühnenbildner Otmar Wagner – ist etwas entstanden, das mehr verdient, als ein kurzes Highlight für die Beteiligten und die Presse zu sein.
In lediglich sechs Wochen wurde das Stück auf die Beine gestellt, eine Zeitspanne, die selbst für Profis kurz ist. Die Materialien stellte zwar das Schloßtheater zur Verfügung, Bühnenbild und Requisiten aber fertigten die Gefangenen größtenteils selbst an. Jeden Tag fünf Stunden Probe, in der Freizeit gegenseitiges Abfragen der Texte. Für die inhaftierten Mitwirkenden – allesamt Laien – bedeutet dies in erster Linie Abwechslung. „Für einen Knacki gibt es drei Beschäftigungsmöglichkeiten: Musik hören, lesen, Sport“, erzählt einer der Insassen. Ein bißchen wenig, um in der Starre des Gefängnisalltags den Geist in Bewegung zu halten.
Im Falle von Schwerverbrechern erscheint das manch einem vielleicht auch gar nicht erstrebenswert. Dabei sollte aber beachtet werden, daß es sich um Menschen handelt, die eines Tages wieder ein Leben außerhalb der Gefängnismauern führen sollen. Resozialisierung heißt das Zauberwort – und ruft bei den meisten Gefangenen Unmut und Verbitterung hervor: Überbelegung und Langeweile resultieren in Frust. Dazu gesellen sich interkulturelle Schwierigkeiten und die alltägliche Hackordnung im Knast. Resozialisierung? Wer sich unter den Insassen umhört, erfährt, daß die das eher für einen schlechten Witz halten.
KiK begreift seine Arbeit als wichtigen Abschnitt auf dem Weg, der die Strafgefangenen in die Welt außerhalb des Baus zurückführen soll. Dies gilt sowohl in konkreter Hinsicht als auch bei der Auswahl des Stücks: Mockinpott beschreibt das Leben nach dem Knast und spricht den Häftlingen aus der Seele. Herr Mockinpott wird in die Freiheit entlassen, und nichts ist mehr wie es einmal war: Seine Frau vergnügt sich mit einem anderen in der ehemals gemeinsamen Wohnung, und auch auf der Arbeit gilt: weggegangen, Platz vergangen. Ein schwer alkoholisierter Ärzte-Schwestern-Trupp nimmt es mit dem „Leiden-Wegschneiden“ nicht so genau, und die um Hilfe gebetene Regierung beschäftigt sich einzig mit ihrer Selbstbeweihräucherung. Die letzte Instanz, an die Mockinpott sich nun noch wenden kann, ist der liebe Gott. Der entspricht allerdings nicht im geringsten der gütigen Vaterfigur mit weißem Rauschebart, sondern erscheint als ein von bürokratischen Verpflichtungen gepeinigter Beamter.
Also keine Hilfe für Mockinpott. Besonders der Schluß des Stücks, den drei der Insassen selbst verfaßt haben, erntet bei den etwa 70 Fuhlsbüttler Gefangenen allgemeine Zustimmung: „Nur Bewährung geben sie kein', soll das Resozialisierung sein?“ Und was geschieht jetzt? Nach den beiden Aufführungen im Salinenmoor und in der JVA Fuhlsbüttel wird es lediglich noch eine weitere Aufführung geben: vor 30 Gefangenen aus dem Frauenknast Vechta, die nach Celle gefahren werden. Danach ist dann fürs erste Schluß.
Das Gefängnis ist finanziell außerstande, derlei Veranstaltungen häufiger zu organisieren. Allein der Gefangenentransport ist eine aufwendige Angelegenheit: Immerhin muß eine professionelle Überwachung gewährleistet sein – was eine Bahnfahrt mit dem „Schönes-Wochenende-Ticket“ nicht bieten kann.
Trotz oder gerade wegen der Begeisterung und des Engagements der Mimen aus Celle mischt sich unter den Spaß während der Aufführung eine gewisse Traurigkeit: sechs Wochen Arbeit für drei Aufführungen. Regisseur Siebelt spricht seinen Wunsch danach aus, das Theater im Knast „kontinuierlich durchzuziehen“. Die nächste Produktion kommt also bestimmt.
Zu Gast im Knast: Die Presse bedankt sich für den Anstaltskaffee und die im übrigen durchweg einnehmende Aufführung. Mehrere Türen öffnen und schließen sich automatisch. Man fährt nach Hause.
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