: Pest oder Cholera
■ Kosovo-Konferenz: Haben die Europäer und die USA nur noch die Wahl zwischen Rückzug und völkerrechtlich fragwürdiger Intervention?
In Paris beginnt heute die zweite Runde der Kosovo-Konferenz. Ihr Scheitern ist absehbar. Nach Abbruch der ersten Runde in Rambouillet vor zweieinhalb Wochen ist Slobodan Milosevic erneut als taktischer Sieger hervorgegangen. Wie vorauszusehen, verschärfte der Präsident Restjugoslawiens die militärische Aggression gegen die kosovo-albanische Zivilbevölkerung und die Befreiungsbewegung UÇK. Milosevic wußte,daß die Nato trotz aller Drohgebärden nicht eingreifen würde. Im Ergebnis wurde die Ablehnungsfront innerhalb der UÇK gestärkt. Sie wollte schon in Rambouillet keinen „Blankoscheck“ – d.h. ihre Entwaffnung – unterschreiben, weil sie den Schutz-und Garantieversprechen von USA und Nato zutiefst mißtraut.
Selbst wenn die Kosovo-Albaner trotz der Entwicklungen seit Rambouillet den Autonomieplan der Balkan-Kontaktgruppe jetzt in Paris ohne Vorbehalte und Bedingungen unterzeichnen sollten: Milosevic wird die Unterschrift weiter verweigern. Damit rückt für die Europäer und die USA die Stunde der Wahrheit näher. Die bisherige Mischung aus Fehleinschätzungen, Illusionen und Selbstbetrug über die Motive und Interessen Milosevics einerseits wie über die eigene Rolle und Einflußmöglichkeiten andererseits wird nicht mehr weiterhelfen.
Diese Mischung findet sich zum Beispiel in der Anfang März veröffentlichten Stellungnahme, mit der Kerstin Müller, Winfried Nachtwei und vier weitere bündnisgrüne Abgeordnete ihre Zustimmung zum Kosovo-Einsatz der Bundeswehr begründen, der am 25. Februar vom Bundestag beschlossen wurde. „Die bisherigen, wenn auch vorläufigen Verhandlungserfolge sind enorm“, befinden die grünen Abgeordnete – zwei Tage nach dem Scheitern der ersten Kosovo- Konferenz in Rambouillet. Und weiter: „Durchgesetzt wurde ein von der Balkan-Kontaktgruppe getragener multilateraler Verhandlungsprozeß. Abgewehrt wurde damit das US-Ansinnen, unilateral mit Hilfe der NATO mit Luftangriffen ,einzusteigen' und dann weiterzusehen. Im Gegensatz zur Lage im Herbst (Nato- Drohung mit Luftangriffen) ist Rußland nun wieder mit im Boot.“
Wesentlichen Verdienst für diese Erfolge schreiben die Abgeordneten Außenminister Joschka Fischer zu, der „eine entscheidende Rolle gespielt und damit hervorragend praktische Friedenspolitik betrieben“ habe.
Mit der Realität haben diese Sätze wenig zu tun. Das von den Abgeordneten behauptete unilaterale Ansinnen der USA hat es nicht gegeben. Was es gibt, ist eine seit Mai 98 von den NATO-Regierungen vorbereitete und seit Oktober 98 im (erforderlichen) Konsens aller 16 Allianzmitglieder beschlossenen Drohung mit Luftangriffen gegen Serbien. Eine Drohung, für deren eventuelle Umsetzung der Bundestag mit den Stimmen zahlreicher bündnisgrüner Abgeordneter die Beteiligung deutscher Kampfflugzeuge beschlossen hat. Eine Drohung, die seit Oktober mehrfach im Konsens aller Nato-Regierungen erneuert und bekräftigt wurde. Und eine Drohung, von der neben vielen westlichen Politikern auch Außenminister Fischer behauptet, erst sie habe Belgrad an den Verhandlungstisch gebracht. Jetzt als Abgeordnete der Bonner Regierungskoalition die Mitverantwortung für diese Drohung und ihre weitere Aufrechterhaltung zu leugnen, mag zwar Punkte bei den Pazifisten in der eigenen Partei bringen, ist aber intellektuell unredlich.
Statt sich frühzeitig nach Beginn der bewaffneten Auseinandersetzungen im Kosovo im Februar 98 mit Rußland über eine gemeinsame, mit einem UNO-Mandat ausgestattete internationale Truppe für die Krisenprovinz zu verständigen, diskutierten die westlichen Staaten acht Monate lang ausschließlich über Nato- Luftangriffe auf Serbien. Dadurch wurden die Beziehungen zu Moskau zwangsläufig erheblich belastet und die Chancen und Spielräume für ein gemeinsames Vorgehen zum jetzigen Zeitpunkt reduziert. Keineswegs ist Rußland „wieder mit im Boot“ der Kontaktgruppe. Die Regierung Jelzin/Primakow lehnt die von den anderen fünf Gruppenmitgliedern vertretene Drohung mit Luftangriffen entschieden ab. Sie trägt lediglich den politischen Teil des Autonomieplanes voll mit, den Annex über die militärische Absicherung durch eine Nato-Truppe jedoch nur mit erheblichen Einschränkungen. Außenminister Iwanow unterstützte nach seinem Gespräch mit Milosevic am vergangenen Donnerstag sogar öffentlich dessen Forderung, in Paris solle nur der politische Teil unterzeichnet und über den militärischen Annex zu einem späteren Zeitpunkt weiterverhandelt werden.
Die Drohung der Nato mit Luftangriffen auf Serbien hat sich als kontraproduktiv erwiesen: Das Verhältnis zu Rußland wurde belastet. Milosevic wurde innenpolitisch gestärkt. Ihn werden die Drohungen auch künftig nicht dazu bewegen, der Stationierung einer internationalen, zumal Nato-geführten Truppe im Kosovo zuzustimmen. Milosevic weiß, daß Luftangriffe der Nato selber viel größere Probleme bescheren würden als ihm. Gerade deswegen wird er es möglicherweise auch darauf ankommen lassen.
In dieser Lage bleibt den Europäern und den USA nur noch die Wahl zwischen zwei Übeln: Entweder sie lassen das Kosovo-Problem fallen und ziehen sich zurück. Oder sie stationieren eine internationale Truppe im Kosovo auch ohne Zustimmung Belgrads und Rußlands und damit ohne UNO- Mandat. Völkerrechtlich wäre dies ebenso fragwürdig wie Nato-Luftangriffe. Doch ließen sich auf diese Weise wenigstens die bewaffneten Auseinandersetzungen im Kosovo beenden. Damit bestünde eine Chance für die notwendigen Rahmenbedigungen zur Umsetzung des Autonomieplanes. Die unilaterale Stationierung einer internationalen Truppe würde in Moskau wie in Belgrad zunächst auf enormen Protest stoßen. Doch ist nicht damit zu rechnen, daß die serbischen Armee-und „Sicherheits“- Kräfte militärischen Widerstand leisten würden. Denn für ihren Oberbefehlshaber Milosevic wäre dieses das beste Szenario: Er hätte die „Souveränität Serbiens“ bis zuletzt hochgehalten, ihre „Verletzung“ durch die Stationierung einer internationalen Truppe wäre ohne seine Zustimmung erfolgt. Zugleich könnte Milosevic die kostspielige Rolle seiner Armee- und „Sicherheitskräfte“ im Kosovo, die die serbische Wirtschaft erheblich belastet und innenpolitisch zunehmend umstritten ist, künftig der internationalen Truppe überlassen. Andreas Zumach
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