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„Die sollen bluten, die Schweine“

■ Wie für den kleinen Herrn Oskar doch noch alles gut wurde

Der kleine Herr Oskar war zwar klein, aber trotzdem ein starker Mann. In der großen sozialen Partei, die das Land regierte, war er sogar fast der stärkste. Nur einen anderen gab es noch, der hatte genausoviel und manchmal sogar noch mehr zu bestimmen als er. Oskar arbeitete gerne, und er arbeitete viel. Das mußte er auch, denn er war zuständig für das ganze Geld im Land, und der andere starke Mann war nicht so fleißig. Der ging immer nur seinen Vergnügungen nach. Er ließ sich vom Fernsehen beim Plaudern übertragen oder brachte alte Frauen nach Hause, die ihm die Leute vom Fernsehen in sein großes Auto gesetzt hatten.

So hatte der kleine Herr Oskar sich das nicht vorgestellt. Denn so ging das jetzt schon gute zwanzig Wochen. An jedem Tag arbeitete er wenigstens 16 Stunden. „So was hält auf Dauer doch kein Schwein aus“, schimpfte Oskar, und „ich kenne doch meine Rechte! Ich bin doch in der sozialen Partei! Aber von wegen ,Samstags gehört Papi uns‘. Für mich gilt das nicht!“ Die Frau maulte auch nur noch rum: „Oskar, wann waren wir das letzte Mal im Kino? Und wann haben wir das letzte Mal Dudú gemacht?“

Oskar wußte keine Antwort. Alles stand ihm bis oben hin. Wenn ihn wenigstens mal einer gelobt hätte. Aber nichts da. Immer wurde er nur ausgeschimpft. Und je mehr er arbeitete, desto mehr wurde die Schimpferei. Die einzigen, die noch zu ihm hielten, waren die Franzosen. Aber Oskar war mittlerweile ganz mutlos geworden. „Die mögen mich doch nur, weil ich einen französischen Nachnamen habe“, jammerte er. „Du mußt dich beschweren“, sagte ihm die Frau, „rufe deinen Chef an. Er soll dir helfen gegen deine Feinde!“ Aber sooft Oskar es auch versuchte, der Chef ging nicht ans Telefon. Später erfuhr Oskar, daß der Chef keine Zeit für ihn gehabt hatte, weil er sich für Frauenzeitschriften in teuren Anziehsachen hatte fotografieren lassen, und niemand durfte ihn dabei stören.

Das war zuviel für den kleinen Herrn Oskar. Jetzt wurde er sehr jähzornig. „Wer bin ich denn? Bin ich denn der letzte Blödmann, mit dem man alles machen kann?!“ schrie er wütend. Und dann: „Ich kündige!“ Und die Frau unterstützte ihn dabei: „Richtig so, und zwar fristlos!“ Oskar war so zornig, daß er sich rächen wollte. Weil er sich ja gut mit Geld auskannte, dachte er sich einen Plan aus, wie er denen, die ihn am meisten beschimpft hatten, viel Geld wegnehmen könnte. „Bei einem richtigen Sozialen wie mir schägt das Herz links. Und das Herz wird nicht an der Börse gehandelt. Dort handelt man mit Aktien von großen Unternehmen. Und die Chefs dieser Unternehmen haben mich am schlimmsten beschimpft. Die sollen bluten, die Schweine!“ beschloß er, und die Frau stimmte ihm zu: „Richtig! Bluten sollen sie! Ganz viel bluten!“

Daraufhin gingen die beiden auf die Bank und kauften von allem Geld, das sie besaßen, Aktien der großen Unternehmen. Bis zum letzten Pfennig gaben sie ihre Ersparnisse für Wertpapiere aus.

Aber damit nicht genug. Sie borgten sich noch zehnmal soviel Geld, wie sie selbst besaßen, von der Bank, und davon kauften sie sich auch noch Aktien. Am nächsten Tag kündigte Oskar fristlos. Er sagte allen Bescheid, daß er nicht mehr für das Geld des Landes zuständig sein wolle, und auch die Arbeit für die soziale Partei könne er ab sofort nicht mehr erledigen.

Das gab ein großes Hallo auf der ganzen Welt. Die verrückten Engländer klatschten Beifall, und die großen Unternehmen freuten sich, daß jetzt ein anderer Oskars Arbeit übernehmen würde. Einer, der nicht so sozial ist und dessen Herz nicht so weit links schlägt. Daraufhin wurden an der Börse die Aktien aller Unternehmen auf einen Schlag viel teurer.

Der kleine Herr Oskar aber ließ sich nirgendwo blicken. Er klebte sich einen schwarzen Schnurrbart unter die Nase und setzte eine dunkle Perücke auf. Und auch die Frau verkleidete sich mit einer Perücke, so daß man die beiden nicht mehr erkennen konnte. Dann gingen sie auf die Bank, wo sie alle Aktien, die sie am Tag vorher gekauft hatten, zu dem neuen, viel höheren Preis wieder verkauften. So wurden sie über Nacht sehr wohlhabend. Aber die beiden sagten niemandem etwas von ihrem großen Reichtum. Sie versteckten sich noch ein paar Tage in ihrem Haus, und viele Menschen rätselten, warum sie nicht herauskämen.

Als alle schon dachten, Oskar würde für immer verschwunden bleiben, trat er doch noch vor seine Haustür. Hunderte von Zeitungs- und Fernsehreportern hielten ihm ihre Mikrofone vor den Mund, denn jetzt würde er bestimmt endlich allen erklären, was er sich dabei gedacht hatte, einfach von heute auf morgen mit seiner Arbeit aufzuhören. Aber der kleine Herr Oskar sagte nur ein paar nichtssagende Sätze, ging wieder in sein Haus und machte die Tür fest hinter sich zu. Einige Tage später packten Oskar und seine Frau die Koffer und fuhren in ein Land, in dem es wärmer ist als hier.

Seitdem wurden sie nicht mehr gesehen. Der andere starke Mann der sozialen Partei war jetzt der einzige, der noch etwas zu bestimmen hatte. Das gefiel ihm gut. Er hatte jetzt noch bessere Laune als früher und ging noch viel öfter seinen Vergnügungen nach.

Einmal erhielt er eine Ansichtskarte aus einem unbekannten Land. Vorne war das Foto eines großen, weißen Strandes drauf, und hinten stand nur ein einziger, mit rotem Filzstift gekritzelter Satz: „Du kannst mich mal am Arsch lecken!“ Fritz Eckenga

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