: Bonns Europapolitik verblairt
Nach Lafontaines Rücktritt tourt Schröder seit gestern durch europäische Hauptstädte und versucht, dort den Personalwechsel schmackhaft zu machen ■ Aus Bonn Daniela Weingärtner
Auf die Frage, ob Oskar Lafontaines Rückzug ins Private die europäische Entwicklung beschleunigt oder ausbremst, kann es viele Antworten geben. Je nachdem, welchen wirtschaftspolitischen Kurs die Befragten für wünschenswert halten. Auf eine Grundaussage aber werden sich alle einigen können, die am europäischen Kräftespiel beteiligt sind: In der Zukunft ist mehr Eindeutigkeit in der Europapolitik der deutschen Regierung zu erwarten.
Die Verwirrung, die bei den Partnern dadurch entstand, daß deutsche Fachminister ohne gemeinsames europapolitisches Konzept zu agieren schienen, wird wohl der Vergangenheit angehören. Die Chancen für Gerhard Schröders straffen Zeitplan – Abschluß der Agenda 2000 beim EU-Gipfel Ende März in Berlin – sollten damit eigentlich steigen.
Gleichzeitig wird dieser Schub aber dadurch neutralisiert, daß der neue deutsche Zahlmeister, Hans Eichel, sein Amt erst nach dem Gipfel antreten kann, wenn er den Job als Ministerpräsident in Hessen los ist. Das für die Gipfel-Vorbereitung wichtige Gremium der Finanzminister, der Ecofin-Rat, tagte gestern, bei der dritten Sitzung seit Beginn der deutschen Ratspräsidentschaft, sozusagen kopflos. Wirtschaftsminister Müller hat zwar kommissarisch die Geschäfte übernommen. Aber er wird sich hüten, dem Neuen vorzugreifen, wenn es darum geht, weitreichende Beschlüsse zu fassen.
Bislang ist völlig unklar, ob die Kräfteverteilung zwischen Wirtschafts- und Finanzministerium unverändert bleibt. Lafontaine hatte sich beim Amtsantritt nicht mit dem bislang üblichen Zuschnitt des Ressorts zufriedengegeben. Er hatte sich ein Superministerium zurechtgezimmert und dafür vom Wirtschaftsministerium die Grundsatz- und die Europaabteilung ins Finanzministerium herübergeholt. Über einen möglichen Rücktransfers soll aber auch erst geredet werden, wenn Eichel an Deck ist. Bis dahin bleibt es für die Mitgliedsländer der Union undurchsichtig, wer in Deutschland für was zuständig ist und auf wessen Wort sie zählen können.
Lafontaines Staatssekretär Heiner Flassbeck nahm am gestrigen Ecofin-Rat noch teil, obwohl jetzt schon feststeht, daß er seinen Platz räumen wird, wenn Eichel kommt. Flassbeck, enger Vertrauter und Berater Lafontaines, steht wie sein Ex-Chef für nachfrageorientierte Politik. Wie sein ehemaliger Chef gehört er auch zu denjenigen, die die unabhängige Stellung der Europäischen Zentralbank (EZB) inFrage stellen und wiederholt Zinssenkungen forderten.
Wim Duisenberg, Chef der EZB, kann sich angesichts der neuen Lage in Bonn entspannt zurücklehnen. Zu Häme hat er sich zwar nicht hinreißen lassen, aber sein Glückwunsch an die Deutschen zur Wahl von Hans Eichel war eindeutig. Eichel und Duisenberg kennen sich gut von Frankfurter Cocktail-Terminen rund um die Eröffnung der Europäischen Zentralbank. Noch in dieser Woche soll die Bekanntschaft vertieft werden. Zwar will sich Hans Eichel vor Amtsantritt nicht öffentlich zu seinen europapolitischen Plänen äußern. Er wird aber „inoffiziell“ mit Wim Duisenberg zusammentreffen und nächste Woche seine Antrittsbesuche bei den Kollegen in Paris und London machen.
Als finanzpolitischer Koordinator der SPD-regierten Bundesländer – auch diesen Job übernahm er von Lafontaine – hat Hans Eichel bereits gelegentlich zur Europapolitik Stellung genommen. Wie Lafontaine wird auch er sich im neuen Amt für eine Harmonisierung des europäischen Steuerrechts einsetzen, um Spekulationsgewinne einzuschränken.
Ansonsten aber steht Eichel der Linie von Blair und Schröder nicht im Weg. Er gehört zu denen, die „Globalisierung als Chance, nicht als Risiko begreifen“ – so sein Sprecher Klaus-Peter Schmidt-Deguelle.
Den geplanten Zusammenschluß von Hoechst mit dem französischen Konzern „Rhône-Poulenc“ hat Eichel ausdrücklich begrüßt, obwohl dadurch in Hessen Arbeitsplätze wegfallen.
Bei seiner Blitzreise durch Europa, die gestern begann, wollte Gerhard Schröder eigentlich die Weichen dafür stellen, daß kommende Woche in Berlin die Agenda 2000 verabschiedet werden kann. Nun ist er hauptsächlich damit beschäftigt, seinen Partnern den deutschen Personalwechsel schmackhaft zu machen. Der niederländische Finanzminister Gerrit Zalm sieht die Felle der Nettozahler bei den Agendaverhandlungen davonschwimmen, da der deutsche Zahlmeister mitten in der Ratspräsidentschaft grußlos von Bord gegangen ist. Nicht grundlos fürchtet er, daß der Agenda-Kompromiß ohne funktionierendes Finanzministerium teurer werden könnte.
In Kopenhagen, der ersten Station seiner Reise, betonte der Kanzler gestern, die deutsche Finanzpolitik sei zu keiner Zeit wirtschaftsfeindlich gewesen. Nun aber werde sie auf den Kurs der anderen EU-Staaten einschwenken. Dieser Satz wird diejenigen EU-Kollegen ins Grübeln bringen, die sich bislang schon auf einer Linie mit dem Finanzkurs der Deutschen sahen. Die Reise nach Berlin, wo es um die gesamte Finanzplanung der Union für die nächsten sieben Jahre gehen wird, werden Lafontaines Ex-Kollegen mit gemischten Gefühlen antreten.
Nach dem Rücktritt des deutschen Finanzministers fragen die Partner besorgt nach der Zukunft der Agenda 2000
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen