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Auch wenn die Mordserie im Iran erst einmal abgerissen ist, leben viele Regimekritiker mit der Angst. Zumal im Lande mehrere Todeslisten kursieren. Seit der Verhaftung von Mitarbeitern des Geheimdienstes ist klar, daß hinter den Mordanschlägen der Staatsapparat steckt. Durch den Machtkampf zwischen den Reformern um Präsident Chatami und den konservativen Theokraten haben die Dissidenten kein Vertrauen in die Polizei.Aus Teheran Thomas Dreger Zwischen den Fronten

Wer heute iranische Regimekritiker besucht, bekommt bei der telefonischen Voranmeldung aus dem Ausland folgende Bitte mitgeteilt: Bringe Tränengas mit, damit wir uns im Notfall verteidigen können. Seit der Mordserie an fünf prominenten Dissidenten innerhalb von nur drei Wochen Ende vergangenen Jahres geht unter iranischen Intellektuellen die Angst um – oder der Sarkasmus. Einige wagen sich nur noch vor die Tür, wenn es unbedingt nötig ist.

„Es ist bizarr“, meint die Übersetzerin Roschanak Dariusch. Einerseits sei spätestens seit der Verhaftung von Mitarbeitern des Geheimdienstes auch dem letzten Zweifler klar, daß hinter den Morden Mitglieder des Staatsapparates stecken, zugleich seien jedoch andere staatliche Stellen um die Sicherheit der Dissidenten bemüht. Das Innenministerium habe den Bedrohten geraten, nur noch zu mehreren mit dem Auto zu fahren. Als Folge ließen sich jetzt „viele starke Männer von ihren schwachen Frauen durch die Stadt chauffieren“, und sie trügen halt die Sprühdosen mit dem Gas mit sich herum. Für Dariusch eine rein psychologische Angelegenheit, denn „wenn dich jemand entführen oder ermorden will, dann läßt er sich nicht von ein bißchen Gas abhalten“. Die Übersetzerin verweist auf Ermittlungsergebnisse, wonach mehrere Dissidenten durch gezielte Stiche ins Herz getötet worden seien. Die Leichen hätten keinerlei Kampfspuren aufgewiesen. Statt dessen seien sie anschließend verstümmelt worden, um die abschreckende Wirkung zu erhöhen. Die Arbeit von Profis.

Zwar sind seit Jahresende keine weiteren politischen Morde bekanntgeworden, aber so richtig aufatmen mag niemand. Einige Intellektuelle vermuten, daß eine höhere Stelle eine Fatwa ausgestellt hat, ein islamisches Rechtsgutachten, das ähnlich wie Chomeinis Mordaufruf gegen den Schriftsteller Salman Rushdie ihren Tod verlangt. Für diese Version spricht, daß im Land mehrere Todeslisten kursieren. Die längste umfaßt 169 Namen. Sie wurde durch einen iranischen Geheimdienstler publik, der sich Ende 1998 damit nach Deutschland absetzte. Darauf verzeichnet sind sowohl im Land lebende IranerInnen, als auch Exilanten. Die zweite, kürzere Liste wurde Anfang des Jahres durch ein Fenster in die Redaktionsräume der literatenfreundlichen Zeitung Chordad geworfen. Wenige Minuten später explodierte vor dem Gebäude eine Bombe.

„Man gewöhnt sich an die Angst, das ist das Dumme am Menschen“, meint Dariusch, die selbst auf der langen Liste steht. Sonst flüchtet man sich in Zynismus. Iranische Schriftsteller necken sich mittlerweile damit, daß der eine Kollege „nur“ auf einer Liste stünde, der andere dagegen auf mehreren, folglich „wichtiger“ sei. Doch nicht immer klappt es mit dem Zynismus. Als sie einmal die Liste mit ihrem Namen auf dem heimischen Faxgerät kopiert habe, sei ihr zehnjähriger Sohn neugierig geworden, berichtet Dariusch. „Mama“, habe er gefragt, „ist das die Liste? Wirst du jetzt auch umgebracht?“

Huschang Golschiri, der derzeit bekannteste iranische Schriftsteller, und seine Frau Farsaneh Taheri, ebenfalls Schriftstellerin, leben in einer Hochhaussiedlung im Süden Teherans. An der Tür steht kein Name. „Wir kennen hier niemanden, aber ich bin sicher, alle hier kennen uns“, erzählt Farsaneh Taheri, deren Name ebenso wie der ihres Mannes auf einer der Todeslisten steht.

Nach der Ermordung ihrer Schriftstellerkollegen Mohammad Mohtari und Mohammad Pujandeh im vergangenen Dezember sei die Polizei zu ihnen gekommen, berichtet Taheri. „Die haben sich aufgeführt wie im Film. Haben alles nach Wanzen abgesucht – jedenfalls haben sie so getan, als ob – und uns Sicherheitstips gegeben.“ Die bestanden aus dem Rat, die Tür immer gut zu verschließen, nicht allein nach draußen zu gehen und nicht in fremde Autos zu steigen, sowie dem Angebot, für sie einen Leibwächter abzustellen oder einer Person ihres Vertrauens einen Schnellkurs in Personenschutz zu erteilen. „Das haben sie allen bedrohten Schriftstellern vorgeschlagen“, erzählt Golschiri und zündet sich eine Zigarette nach der anderen an. „Alle haben abgelehnt.“

Das Vertrauen der Literaten in die iranische Polizei ist nicht besonders groß. Stehen die Beamten doch für einen Staatsapparat, der ihnen feindlich gesonnen ist. Die Schriftsteller schützen sich lieber selbst. Als Golschiri zum Begräbnis seines Freundes Mohtari ging, umringten ihn junge Schriftsteller als menschliche Schutzmauer. Anfangs hätte sogar jede Nacht ein junger Kollege bei ihnen übernachtet, berichtet er. „Aber“, so Golschiri, „auf Dauer halte ich das nicht aus. Wie soll ich arbeiten, wenn ständig jemand auf mich aufpaßt.“ Am meisten bedrückt Golschiri, daß die Rechnung der Mörder und ihrer Auftraggeber aufzugehen scheint. „Zu unseren Treffen kommen immer weniger Leute“, sagt er mit resignativem Unterton. „Die einen haben Angst, die anderen sind ins Ausland gegangen, und unsere wichtigsten Aktivisten sind tot.“

„Wenn ich Vorträge halte, werde ich häufig aus dem Publikum heraus verbal angegriffen“, berichtet die auf Frauenfragen spezialisierte Anwältin und Journalistin Merengis Kar, deren Name ebenfalls auf einer der Listen steht. Ihr werde dann Häresie vorgeworfen: Abwendung von Gott. Diese „Anklage und Verurteilung zugleich“ bedeute für sie „Lebensgefahr“, denn nach strenger islamischer Auslegung ist, wer vom rechten Glauben abweicht, todeswürdig. Konservativen Kreisen seien Menschen, die für die Rechte der Frauen eintreten, ein Greuel, denn „diese Leute betrachten Frauen als ein Ding, als Eigentum“. Wenn sie öffentlich über Frauenrechte rede, klinge das in deren Ohren wie „etwas Teuflisches“.

Obwohl die Anwältin weiß, daß ihr Leben gefährdet ist, hat sie keine besonderen Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Wie auch? „Man kann sich nicht schützen“, erklärt Merengis Kar. Auch habe sie sich schon vor Bekanntwerden der Todeslisten bedroht gefühlt. Sie jedenfalls lebe „genauso weiter wie zuvor“. Doch dann räumt sie nachdenklich ein: Natürlich habe es während der Mordwelle Augenblicke gegeben, „da hatte ich einfach große Angst. Da bin ich schon zusammengezuckt, wenn es an der Tür geklingelt hat.“

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