: Großartigo und Fantastico
■ Der italienische Blues- und Rockmusiker Zucchero verwandelte die Stadthalle in einen Ballsaal
Giuseppe war nicht zu halten. „Ein tolles Konzert! Unglaublich!! Großartig!!! Einzigartig!!!! Fantastico!!!!!“ In Giuseppe hatte sich dermaßen viel Begeisterung angestaut, daß er den Hinweis, das tolle und unglaubliche Konzert habe doch noch gar nicht begonnen, allenfalls als kleingeistigen Kniefall vor schnöden Realitäten abgetan hätte. Wo Emotionen kräftig wallen, hat Logik nichts zu suchen.
Als Adelmo „Zucchero“ Fornaciari mit leichter Verspätung schließlich die Bühne der Stadthalle betrat, um mit dem zu beginnen, was der Hellseher Giuseppe schon lange prophezeit hatte, war längst klar, daß der Erfolg der kommenden zwei Stunden nur noch unwesentlich davon abhing, wie sich der Bluesbarde aus Italien tatsächlich aus der Affäre zog. Denn die Giuseppes dieser Welt – und davon waren in der gut besuchten Stadthalle bemerkenswert viele vertreten – feiern sich halt am liebsten selbst. Und ein Zuccherokonzert inmitten der norddeutschen Diaspora ist dafür ein willkommener Anlaß.
Angesichts dieser Voraussetzungen, die so mancher Vollprofi auch gerne mal als Einladung zum uninspirierten Herumdudeln auslegt, muß man Zuccheros Auftritt mit Lob geradezu überschütten. Denn sowohl dem stimmgewaltigen Sänger aus Reggio Emilia, als auch seiner zehnköpfigen Multikultiband – darunter ein weibliches Streichquartett, dessen Funktion sich allerdings weitgehend darin erschöpfte, leichtbekleidet und attraktiv zu sein – war anzumerken, daß sie den Vorschußlorbeeren gerecht zu werden suchten.
Vor dem Hintergrund einer großen Videoleinwand, auf der sich explodierende Farbbeutel, allerlei wackelig und unscharf gefilmtes Getier, romantische Landschaften (Kornfelder, Strand im Abendlicht und sowas) und die ein oder andere kleine Sexszene einander abwechselten, röhrte und krächzte sich der 42jährige zu Beginn durch seine kürzlich erschienene CD „bluesugar“, auf der sich ohrwürmelnde Balladen und mit deutlichen Anleihen beim Britpop versehene ohrgründelnde Rockstücke ein schönes Stelldichein geben. Daß das Fanvolk lange Zeit die vom Veranstalter vorgegebene Ordnung respektierte und in Reih und Glied gesittet nebeneinander saß – vorne die teuren, hinten die auch nicht billigen Plätze – behagte dem pummeligen Italoimport wenig. „Wollen wir einen Altherrenabend verbringen? Aufstehen, tanzen: Los!“ rief er ins Publikum.
Darauf hatten die Giuseppes ebenso wie die Giuseppinas nur gewartet, stürmten nach vorne, und hüpften entrückt vor der Nase jener wenigen herum, die sich krampfhaft an ihrem Stuhl festhielten. So gefiel's nicht nur dem Meister, der die Stimmung noch dadurch anheizte, daß er von „Senza una donna“ über „Overdose“ bis „Con le mani“ keinen Hit aus den vergangen zehn Jahren vorenthielt.
Daß er zudem früh bekannte „Oggi non vorrei parlare inglese“ und somit die Befürchtung zerstreute, all die Zuccherohits in der für den internationalen Markt in englischer Sprache produzierten Version ertragen zu müssen, war der ausgelassenen Stimmung nur förderlich.
Und in der Tat: Warum sollte man auch, wenn man man so melodische Sätze wie „Se sapessi quanto vuoto resta / quando è buio, quando è festa / e mi son bevuto il cielo“ singen und ebenso hohle, aber schlechter klingende Phrasen wie „I wish you love / that is my crime / stolen tears / promise to cry“ vermeiden kann, anders verfahren?
Franco Zotta
P.S.: Nach dem Konzert gab der einzig wahre Giuseppe einer Kollegin von Radio Bremen noch ein Interview. „Wie hat Ihnen das Konzert gefallen?“ fragte sie. „Großartig, einzigartig, fantastico“, war die vertraute Antwort. Offensichtlich hat Zucchero in Giuseppes Gefühlsleben keine neuen bleibenden Eindrücke hinterlassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen