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Hölle Odenwald oder: Du Tolmein!  ■   Von Jürgen Roth

Selbst 17jährige machen „es“: Bücher zu schreiben ist en vogue. Ich weiß, wovon ich rede. Wie aber schreibt man ein Buch?

Man nehme ein Haus, setze sich hinein und schreibe das Buch. So geht „es“. Die eine Methode.

Die andere: geht ähnlich. Ich tat mich mit dem Hamburger Ror-Wolf-Forscher Kay Sokolowsky zusammen, auf Geheiß eines Kölner Hauses, das vorwiegend „Romane“ diverser 17- und 23jähriger publiziert. Unser Geschäft indes bestand darin, die Welt als Ganzes zu erklären. „Nichts leichter als das!“, gaben wir Bescheid und gingen zwei Wochen in Klausur – ohne Frauen, mit Bier. Bücher schreiben ist Männersache.

Unser Domizil lag abgeschieden am Rande des generös grün gesäumten Odenwaldstädtchens Lautertal-Gadernheim. Den ersten Tag verbrachten wir im bequemen Fernsehzimmer der fast hundert Quadratmeter messenden Wortwerkstatt. Wir hätten ja reichlich Zeit, beruhigte der erfahrene Soko, wir sollten es zunächst „eher lokker angehen lassen“. Sonntag war Ruhetag. Am dritten Tag, gegen zwölf, stürmte Soko plötzlich mein Schlafgemach, schwang seine Katzenglocke und grölte: „Ab ins Schreibbergwerk!“

Im Schreibbergwerk, einem großen, hellen Raum, standen zwei Computer. Soko, das „Superhirn“ (Dr. Thormaier), saß an der Wand, ordnete Zettel und lachte bisweilen finster auf. Er habe „eine Idee“, wolle nämlich „mal ein frisches Weizen trinken“, ich sei ja „gut in Form“, das „liefe schon mit dem Buch“.

Ich nickte und hackte weiter. Hinter mir gluckerte es. „Aaaaahhhh, schön frisch!“ Stunden später jubilierte er: „He, ich hab einen Satz!“ – „Prima“, erwiderte ich leis. Drei, vier Tage ging das so, und Soko ging „Bier kaufen, sonst kann ich nicht schreiben. Wieviel Seiten hast du?“ – „Na, das ist ja schon die Hälfte. Bis gleich.“

Gegen Ende der ersten Woche begann Soko „ein Konzeptpapier“. Wir waren eingespielt. Er fingierte mehrere „Stromausfälle“ an seinem Computer und trank. „Ein kühles Weizen darf noch sein.“

Die Wende „kam“, als er die erste Seite ins Reine schrieb: „Was für ein Scheißgrammatikfehler! Und das im zweiten Satz!“ Ich faßte Mut und brüllte zurück: „Du Tolmein!“ – worauf Soko donnerte, „das“ werde „notiert“ und „als Motto des Tages, hurra!“ an den Schrank geheftet.

Nun hatte er Arbeit. Unsere Wandzeitung wuchs. Zu Mondfotos, Stalin- und Barschelporträts gesellten sich erlesene Spruchweisheiten des Co-Autoren, die mich „aufbauten“, wenn mir der Werkstattwart das pro Tag genehmigte Inspirationsbier verweigerte, weil „der Kennedy noch gemacht werden“ mußte. „Es war das Scheiß-Militär, denk dran!“, kommandierte Soko und erklärte: „Die RAF kann uns am Arsch lekken!“ Daneben prangten die Sentenzen „Gülle!“, „O Weltenwahns Umnachten!“ und „Hölle, Mr. President!“

Nach 14 Tagen waren wir fertig. Sokos Frau holte einen glänzend aufgelegtenSchriftsteller ab („Hat doch super geklappt, das Teamwork“), und ich schätzte mich glücklich, „man by man“ diese „unglaubliche Hölle“ (Soko) durchgestanden zu haben.

Nur zu zweit funktioniert das Schreiben von Büchern „wie geschmiert“ (Soko). Behaupte niemand das Gegenteil.

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