piwik no script img

Das Jahr der Naturkatastrophen

1998 war ein Jahr voller Unwetter und bescherte den Versicherungen die zweithöchste Schadenssumme aller Zeiten – Versicherer fürchten Treibhauseffekt  ■ Von Hermannus Pfeiffer

Hamburg (taz) – Durch Naturkatastrophen kamen 1998 in aller Welt mehr als 50.000 Menschen ums Leben – die vierthöchste Zahl in den vergangenen Jahrzehnten, ermittelte jedenfalls die Versicherungswirtschaft. Der volkwirtschaftliche Schaden bezifferte die Münchener Rück vorgestern auf 93 Milliarden Dollar (163 Milliarden Mark), der bisher zweithöchste Wert in der Menschheitsgeschichte. Versichert war ungefähr ein Sechstel dieser Schäden. Lediglich 1995 verursachte das Erdbeben im japanischen Kobe einen noch größeren Sachschaden.

Auch dieses Jahr verheißt aus Sicht der Münchener Rück bislang nichts Gutes: So gelten die verheerenden Schneelawinen in der Schweiz und im österreichischen Galtür der Assekuranz als schlechtes Omen. Bis zum Juli halte die Gefahr eines mächtigen Hochwasser wegen der ungewöhnlichen Schneemassen in den Alpen noch an. Die Versicherer machen sich Sorgen.

In der ersten Hälfte der neunziger Jahre machten vornehmlich Erdbeben und Sturmkatastrophen weltweite Schlagzeilen, wie die Winterstürme in Europa (1990), der vernichtende Hurrikan „Andrew“ über Florida (1992) und die Erdbeben von Kalifornien (1994) und Kobe (1995). In der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts plagten statt dessen Waldbrände und Hungerdürren Millionen von Menschen, vornehmlich in Südostasien. 1997/98 brachte das Wetterphänomen El Niño und seine kühlere Schwester El Niña, die das Wetter vor allem im Pazifik zwischen Asien und Lateinamerika durcheinanderbringen, eine breite Palette von Unwettern: von extremer Trockenheit bis zu heftigen Überschwemmungen etwa durch die außergewöhnlichen Monsunregen in Asien. Rund 80 Katastrophen führt die Münchener Rück allein auf El Niño zurück. Wochenlang hielten die furchtbaren Überschwemmungen in China die Weltöffentlichkeit in ihrem Bann. In China hatten die Versicherer freilich Glück im Unglück: Von den geschätzten 30 Milliarden Dollar (53 Milliarden Mark) war bloß ein Dreißigstel versichert.

Daß die internationalen Versicherungen vergangenes Jahr mit rund 15 Milliarden Dollar Auszahlungen davonkamen, lag vor allem daran, daß zumeist ärmere Länder heimgesucht wurden, wo nicht nur weniger teure Dinge zerstört wurden, sondern auch erheblich weniger Sachen versichert sind. Das Erdbeben von 1995 traf mit Kobe dagegen eine Stadt in einem hochentwickelten Industrieland.

Gerhard Berz führt die ungewöhnlich hohe Katastrophenzahl einerseits auf natürliche Klimaschwankungen wie El Niño und La Niña zurück. „Eine wesentliche Rolle dürfte aber auch gespielt haben, daß 1998 das mit Abstand wärmste Jahr seit Beginn weltweiter Messungen war.“ Dabei werde schon 150 Jahre lang gemessen, betont der Leiter der Forschungsgruppe Geowissenschaft der Münchner Rückversicherung AG. Seit zwei Jahrzehnten beobachte er einen globalen Erwärmungstrend. Die jüngste Häufung von Schreckensmeldungen sieht Berz als Indiz für die globale Erwärmung: Sie könne zu einer erheblichen Verschärfung der Gefahren in vielen Regionen führe. So sei im Vergleich mit den sechziger Jahren die Anzahl großer Naturkatastrophen auf das Dreifache gestiegen, die volkswirtschaftlichen Schäden – inflationsbereinigt – auf das Neunfache und die versicherten Schäden gar auf das Fünfzehnfache hochgesprungen.

„Eine Trendwende ist nicht in Sicht“, sagt Berz. Als Gründe nennt der Meteorologe die Konzentration von Bevölkerung und Werten in immer mehr und immer größeren Städten, die zudem häufig in „Hochrisikogebieten“ liegen. Extreme Naturereignisse werden erst in solchen Ballungsräumen zur Katastrophe. Dazu komme die erhöhte Anfälligkeit moderner Industriegesellschaften und die beschleunigte Verschlechterung natürlicher Umweltbedingungen. Doch ein Grund ist natürlich auch der Erfolg der Versicherungen, denen es gelingt, immer mehr Leuten ihre Dienstleistungen zu verkaufen.

Ähnlich negativ bewertet die Hannover Rückversicherung den Naturtrend. Ein Treibhauseffekt sei nicht wegzudiskutieren, meint auch der Gerling- Konzern. Auch wenn man hier bisher noch nicht von einer Zunahme der Zahl der Naturkatastrophen sprechen möchte.

Was eine globale Erwärmung anrichten kann, darauf gab auch die Lawinenserie in den Alpen einen Vorgeschmack: Auslöser war ungewöhnlich feuchtwarme Atlantikluft, die sich in den Alpen staute. „Wenn das Klima aus dem Gleichgewicht gerät“, heißt es im Gerling-Konzern, „ist unsere Existenz gefährdet.“ Daher gehe Gerling den Gefahren für die Umwelt auf den Grund. Als Beispiele werden die Consulting Gruppe und die Cert Umweltgutachter GmbH genannt. Beide helfen Unternehmen, ihre Umweltrisiken zu verringern. Solches Umwelt-Audit ist mittlerweile bei fast allen Versicherungskonzernen – und Banken – gewöhnlicher Standard.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen