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Theater lebenslänglich

Ein Großer des alten Theaters ist für immer abgetreten. Boleslaw Barlog ist im Alter von 92 Jahren gestorben. Modernes Theater kritisierte er zuletzt als Peep-Show  ■ Von Hartmut Krug

Boleslaw Barlog, 27 Jahre lang Leiter der Staatlichen Schauspielbühnen Berlins, war ein Prinzipal der sogenannten alten Theaterschule, ein Mann des Schauspieltheaters. In seinen Lebenserinnerungen mit dem Titel „Theater lebenslänglich“ liefert er eindringliche Porträts seiner Schauspieler. Das Ensemble war für ihn der Kern für ein Theater des psychologisch-realistischen Spiels („Ich will einen Tempel haben, in dem die deutsche Sprache gepflegt wird“). Und was für ein Kern. Unter Barlog versammelte sich ein Großteil der westdeutschen Darstellerelite: Elsa Wagner, Horst Caspar, Hermine Körner, Martin Held, Ernst Schröder, Klaus Kammer, Bernhard Minetti und andere.

Boleslaw Stanislaus Barlog wurde am 28. März 1906 als Rechtsanwaltssohn in Breslau geboren. Er besuchte die Schule in Berlin und absolvierte sowohl eine buchhändlerische und eine kaufmännische Lehre. Doch das Theater zog ihn an: Er ging als Regieassistent zu Karl Heinz Martin und Heinz Hilpert an die Berliner Volksbühne. Der Machtantritt der Nazis 1933 unterbrach die Theaterzeit. Ab 1937 gelang es ihm aber, in der Filmszene Fuß zu fassen. Erst als Regieassistent (u.a. von Käutner), dann als Regisseur („Wenn die Sonne wieder scheint“). Seine große Zeit aber kam im November 1945, als er die heruntergekommenen Wrangel- Lichtspiele im Berliner Bezirk Steglitz als Schloßparktheater eröffnete. Die Anekdoten sind Legion – wie er die Erlaubnis und die Schauspieler, Material und Briketts als Eintrittsgeld zusammenbekam. Barlogs bunte Bühne spielte mit Erfolg Boulevard, Klassiker und neue Dramatik. Hildegard Knef und Inge Keller hatten hier ihr Debüt. 300mal Zuckmayers „Des Teufels General“ mit O. E. Hasse rettete das Theater über die Währungsreform.

Als das wiederaufgebaute große Schiller Theater im Januar 1951 mit einer „Wilhelm Tell“-Inszenierung eingeweiht wurde, war zu vieler Erstaunen Barlog auch hier zum Intendanten geworden. Anfangs nicht unumstritten, später aber bejubelt als Leiter eines erfolgreichen Imperiums aus Schiller Theater, Schloßparktheater und Werkstatt des Schiller Theaters (ab 1959). Die Barlog-Bühnen haben das Nachkriegstheater geprägt. Barlog wollte ein Theater, das Spaß machen sollte. Er holte Fritz Kortner als Regisseur, aber auch Samuel Beckett, der in Berlin legendäre Inszenierungen seiner eigenen Stücke schuf.

Als Regisseur entdeckte Barlog Edward Albee, John Osborne und Dylan Thomas für deutsche Bühnen. Er inszenierte Gerhard Hauptmann und Carl Zuckmayer und bereitete die Bühne für Billy Wilder, Tennessee Williams, T. S. Elliot, Max Frisch und Peter Weiss.

Als „Opas Theater“ galt sein Theater dann in den 68er Tagen, und 1972 verließ Barlog schließlich seinen Intendantenposten. Als freier Regisseur inszenierte er jetzt vor allem Opern. In den letzten Lebensjahren verfolgte er vom Steglitzer Alterssitz aus die Schließung seines Schiller Theaters mit Empörung und die Entwicklung des modernen Theaters hin zur „Peep- Show“, wie er meinte, mit großem Ärger. Boleslaw Barlog, ein großer Mann des alten Theaters, ist jetzt, kurz vor seinem 93. Geburtstag, in Berlin gestorben.

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