: Zu Besuch im Menschenzoo?
Bei den „Giraffen-Frauen“ an der birmesisch-thailändischen Grenze: Sie fürchten nicht die Fotoapparate der Touristen, sondern nur die birmesischen Militärs ■ Von Nicole Häusler
Gelegentlich tauchen in den Medien Fotos von ihnen auf. Man ist irritiert, denn die Frauen, die dort zu sehen sind, tragen um ihre Hälse Ringe. Lebenslanges Tragen dieser Ringe hat etwas Menschenunwürdiges – aber irgendwie faszinierend sind diese Frauen allemal. Dieses Faszinosum wird gut vermarktet in Thailand. Reisebüros werben mit dem Besuch in einem Dorf, in dem „Giraffen-Frauen“ leben.
Aber selbst in klassischen Reisebüchern wird von dem Besuch dieser Dörfer abgeraten, da die Menschen dort wie Tiere im Zoo ausgestellt werden würden. George, mein Reiseleiter, winkt jedoch ab und meint, er wolle mir eine andere Perspektive zu zeigen. Die „Langhals- oder Giraffen- Frauen“, wie sie häufig bei uns bezeichnet werden, gehören zu der Ethnie der Karenni. In Südostasien werden sie häufig als Padaung bezeichnet. Das Wort Padaung stammt aus der Shan-Sprache und bedeutet Messingspirale.
Werden die Frauen gefragt, warum sie diese Messingspiralen tragen, so wird einem geantwortet: „Das war schon immer so!“ Manchmal wird auch eine Geschichte erzählt, die besagt, daß die Karennisoldaten, wenn sie in alten Zeiten in den Krieg zogen, aus wertvollem Metall wie Gold, Silber und Kupfer Ringe formten und diese zum Schutz gegen Diebstahl um den Hals und um die Waden ihrer Frauen legten.
Den Mädchen werden vom sechsten Lebensjahr an Ringe um den Hals, die Arme und um die beiden Waden gelegt. Jedesmal wenn eine Spirale tiefer in die Schulter reinrutscht, wird der Halsring kürzer und lockerer, so daß ein neuer Ring angelegt werden muß, der schwerer ist und mehr Windungen besitzt.
Immer tiefer rutscht die Spirale in die Schulter
Der Begriff „Langhalsfrauen“ ist im übrigen nicht richtig, da durch das Anlegen der schweren Ringe der Hals nicht gestreckt wird, sondern durch das Gewicht der Spirale die Rippen nach unten gedrückt werden. Die Wirbelsäule bleibt dabei intakt. Allerdings werden auch die Schultermuskeln nach unten gedrückt, wodurch der Eindruck eines verlängerten Halses entsteht. Eine optische Täuschung: Wird einer Padaung-Frau der Metallring abgenommen, dann knickt nicht, wie so oft behauptet wird, ihr Hals um, sondern die Schultermuskeln können sich langsam wieder zurückbilden.
Nach einer einstündigen Fahrt von der Stadt Mae Hong Son erreichen wir das Dorf Naisoi, das nur wenige Kilometer entfernt an der Grenze zu Birma liegt. Wir parken das Auto auf einem Sammelparkplatz, auf dem sich bereits viele von Thais geführte Souvenir- und Getränkestände befinden. George bittet uns sogleich, hier nichts zu kaufen, sondern bei den Padaung- Frauen, damit diese direkt am Gewinn beteiligt sind.
Bei Betreten des Dorfes muß ein Farang, ein Reisender aus dem Westen, 250 Baht (zirka zwölf Mark) Eintritt bezahlen. Eine stolze Summe für thailändische Verhältnisse. Es ist zehn Uhr morgens, das Dorf wirkt verschlafen, und nur wenige Touristen sind bereits da. Fast die Hälfte aller Touristen, die nach Mae Hong Son kommen, besuchen auch dieses Dorf.
Wir gehen auf die erste Hütte zu, vor der eine „Giraffen-Frau“ mit ihren zwei Töchtern sitzt, denen auch bereits Ringe um den Hals gelegt worden sind. Vor ihnen stapeln sich auf einem wackeligen Bambustisch Langhals-Puppen, Postkarten sowie birmesische Marionetten. Daneben liegen Stoffe, die von den Dorffrauen gewebt worden sind sowie Infobroschüren über die Kultur und die Tradition der Padaung-Frauen. Meine zögerliche Frage, ob ich die Frauen fotografieren darf, wird mit einem „Klar doch!“ beantwortet. Professionell schauen sie in die Kamera. Zum Dank beginne ich den halben Souvenirstand aufzukaufen.
Wir schlendern weiter durch das Dorf, begrüßen Frauen, die am Webstuhl sitzen, Kinder, die auf George zurennen, der scheinbar jeden kennt. Aber noch ist mir nicht klar, warum wir uns nicht in einem Menschenzoo mit hohen Eintrittsgeldern und öffentlichen Toiletten befinden sollen.
Wir gelangen zu der Hütte von Manang, 43 Jahre alt, und ihrer Tochter Mada, die gut Thai spricht. Die beiden wirken sehr selbstbewußt und stolz und führen, bedingt durch ihre Halsringe, ruhige und bedächtige Bewegungen aus.
Angst vor Übergriffen birmesischer Truppen
Sie erzählen, daß ihr Heimatdorf in der birmesischen Provinz Dok-ko liegt, fünf Tagesmärsche von der Grenze entfernt. Immer wieder kamen Soldaten der birmesischen Armee in ihr Dorf und zwangen die Bewohner, den Reis abzugeben. Vor zehn Jahren begannen dann die ersten Bewohner in Richtung Thailand zu flüchten.
Nachdem die ersten Berichte über eine geglückte Flucht in das Dorf gelangt waren, entschlossen sich immer mehr, ihr Dorf zu verlassen, darunter vor neun Jahren auch Manang mit ihrer damals acht Jahre alten Tochter. Zunächst lebten sie vier Jahre lang direkt im Grenzgebiet und seit fünf Jahren nun in diesem Dorf mit 200 weiteren Padaung, davon 56 Frauen mit Ringen um den Hals. Manang nimmt eine besondere Stellung im Dorf ein, da sie für das rituelle Umlegen der Ringe um den Hals und die Waden der Mädchen und Frauen verantwortlich ist.
Auf die Frage, ob sie nach Birma zurückkehren möchten, schüttelt Manang energisch den Kopf. Es ginge ihnen sehr gut hier im Dorf. Sie hätten eine Grundschule für die Kinder, genug zu Essen, eine große Hütte, sanitäre Anlagen, eine medizinische Betreuung und müßten – und das wäre das allerwichtigste – nicht mehr in Angst und Schrecken leben vor der birmesischen Armee. Finanziert werden die medizinische und schulische Betreuung vom Eintrittsgeld.
Die thailändischen Verwalter der drei Padaung-Dörfer erzielen zwischen 12.500 Baht und 75.000 Baht Umsatz pro Tag durch die zahlenden Besucher. Ein Drittel davon behalten die lokalen Reiseveranstalter als Kommissionsgeld ein. Der Rest wird von den Dorfverwaltern ausgegeben für die Zahlung von „Gebühren“ an die lokale Einwanderungsbehörde, den Verwaltungsdistrikt, die Polizei sowie an das Militär. Dadurch müssen die Flüchtlinge nicht fürchten, von birmesischer Seite angegriffen zu werden.
Manang findet, sie ließe sich lieber fotografieren, als jahrelang auf dem Feld zu stehen, um dort in harter Arbeit Reis anzubauen. Als Flüchtlinge ist sie in Thailand nur geduldet und kann deshalb kein Land pachten, auf dem sie selbst Reis anbauen könnte. Im hinteren Teil des Dorfes besuchen wir anschließend Kajo-Frauen, die zu der Ethnie der Karen gehören. Diese Frauen tragen schwere Ohrringe, die ihre Ohrläppchen weit nach unten ziehen.
Vielen Touristen ist das Eintrittsgeld zuviel. Reiseführer George schüttelt nur ungläubig den Kopf: „Da geben sie nun soviel Geld aus, um von Australien hierher zu kommen, nehmen die Strapazen auf sich, um zu diesem Dorf zu gelangen – und dann sind sie nicht bereit, einen einheimischen Reiseleiter zu bezahlen?!“
Irritiert verließ ich dieses Dorf und hatte am Ende mehr Fragen als Antworten. Hat dieser Kurzbesuch mal wieder gezeigt, daß unsere Sichtweise des „Dritte Welt“- Tourismus eine rein eurozentrische ist, und wir die Situation häufig viel negativer einschätzen als die „Betroffenen“ selbst?
Seien es die „traditionellen“ Tänzerinnen, die jeden Abend im Fünf-Sterne-Hotel vor Gästen auftreten müssen („Mit den regelmäßigen Einnahmen durch das Tanzen kann ich unsere Familie ernähren!“), seien es die Zimmerjungen im indischen Goa („Wieso soll ich weiterhin als Palmweinzapfer auf die Palmen hochklettern, wenn ich in diesem Hotel arbeiten kann?“) – oder die Padaung-Frauen, die sich geschäftstüchtig über die Runden bringen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen