: Angst vor einem Rachefeldzug
■ Die im Kosovo stationierte jugoslawische Armee rüstet auf. Brücken sind vermint, Panzersperren errichtet. Sollte die Nato eingreifen, drohen serbische Militärs, würden sie mit dem Widerstand der Kosovo-Albaner ein für allemal aufräumen
Die Drenica, das Hügelland im Zentrum des Kosovo, ist die Hochburg der UÇK, der albanischen Guerilla. Hier hat sie sich vor bald anderthalb Jahren anläßlich eines Begräbnisses zum ersten Mal der Öffentlichkeit vorgestellt, hier gab es vor einem Jahr das erste große Massaker, bei dem fast die ganze Familie des UÇK-Führers Adem Jashari ausgerottet wurde. Srbica, auf Albanisch: Skenderaj, ist die letzte Ortschaft vor dem Guerilla- Gebiet. Seit sieben Tagen gibt es im Städtchen keinen Strom mehr, und täglich kommen neue Flüchtlinge an, allein am Donnerstag an die 3.000. Der Ingenieur Mazmi erzählt, das nur zwei Kilometer entfernte Dorf Prekaze sei nun völlig leer, er habe den Ort als letzter verlassen. Noch ist dort kein Schuß gefallen, aber die Menschen fliehen vor den bevorstehenden Kämpfen.
50 Panzer seien gestern aufgefahren und 20 Mannschaftstransportwagen, berichtet der alte Feriz, der in der ungeheizten Kaffeestube sitzt und schon zum achten Mal geflüchtet ist. Sie stünden am Ortsrand bei der Munitionsfabrik. Es sieht ganz danach aus, als ob Polizei und Armee mit der UÇK in der Drenica aufräumen wollen, wie schon im letzten Sommer.
Wenn die Nato eingreift, gab Generalmajor Nebojsa Pavkovic, Kommandeur der im Kosovo stationierten Truppen der jugoslawischen Armee am Donnerstag bekannt, würden die acht- bis zehntausend Terroristen im Kosovo vernichtet. Sie würden keine ernsthafte militärische Kraft darstellen. Solche Aussagen scheinen den UÇK-Mann, der drei Kilometer oberhalb von Srbica auf der asphaltierten Landstraße steht, sein Präzisionsgewehr mit Zielfernrohr baumeln läßt und am Funkgerät hantiert, nicht sonderlich zu beeindrucken. „Im Notfall setzen wir Panzerminen ein.“ Gewiß ist die Guerilla heute militärisch besser ausgerüstet als im vergangenen Sommer. Doch gegen die schweren Waffen der jugoslawischen Armee und der paramilitärisch ausgerüsteten Sonderpolizei haben sie keine Chance.
Die Leute wissen es. Im Schneegestöber quälen sich immer mehr Flüchtlinge mit ihrem Hab und Gut, zu Fuß und auf Pferdewagen, über die Landstraße, am UÇK- Stützpunkt vorbei. Rund 100.000 Mann stark ist die jugoslawische Armee, und neben den 10.000 paramilitärischen Polizisten sind bereits 16.000 Soldaten nun im Kosovo stationiert und weitere 20.000 im direkt angrenzenden Gebiet. Die Brücke in der Schlucht von Kacanik ist vermint. Fliegt sie in die Luft, ist die Hauptstraße nach Makedonien unterbrochen. Auf der andern Straße, die – über Gnjilane und ein Zipfel serbisches Gebiet – nach Makedonien führt, sind Panzersperren errichtet. Am Militärflughafen von Podujevo, 30 Kilometer nördlich der Hauptstadt Pristina, sind vier Panzer aufgefahren. Flugabwehrbatterien und radargelenkte Raketen sind vermutlich bereits in Stellung gebracht worden, viele von ihnen auf dem Gebiet Montenegros. Bei einem Nato-Angriff müßten sie als erstes ausgeschaltet werden, und Montenegro, dessen Regierung die Kriegspolitik Milosevic' seit langem offen kritisiert, wäre zum Wohlgefallen des Potentaten von Belgrad in den Krieg mit hineingezogen. Zudem verfügt die Armee auch über tragbare Raketen, die von der Schulter abgefeuert werden können. Im Bosnien-Krieg holten serbische Soldaten mit einer solchen Waffe immerhin eine französische Kampfmaschine vom Himmel.
Bei einem Nato-Angriff werden möglicherweise auch einige Kampfflieger sterben. Vor allem aber ist damit zu rechnen, daß dann die Armee tatsächlich eine landesweite Großoffensive gegen die UÇK startet, die für die Zivilbevölkerung noch weit schlimmere Konsequenzen haben könnte als jene im vergangenen Sommer, als 300.000 Menschen in die Flucht getrieben und weit über hundert Dörfer zerstört wurden. Im Sommer konnten die Flüchtlinge draußen, in den Wäldern, schlafen, und es kam immerhin einige Hilfe internationaler humanitärer Organisationen an. Seit gestern liegt wieder das ganze Kosovo unter einer Schneedecke.
Trotz dieser düsteren Perspektive befürworten die Männer im Kaffeehaus von Srbica ausnahmslos einen Angriff der Nato. Die Alternative, so fürchten sie, ist ebenfalls eine serbische Großoffensive – nur ohne Nato-Bomben. Daß die Serben nun so oder so mit dem Widerstand der Kosovo-Albaner ein für allemal aufräumen würden, davon sind die Flüchtlinge überzeugt. Daß die jugoslawische Armee aber der Nato standhalten kann, schließen sie rundweg aus. Über die Verhandlungen in Paris sind sie alle informiert. Man hat Transistor-Radios, und einmal am Tag kommt der Bus aus Pristina, und dann werden auch einige Bündel Zeitungen ausgeladen.
Auch in den bislang vom Krieg einigermaßen verschonten Städten des Kosovo steigt mit der Spannung die Angst. In Pristina sind nun täglich mehr Soldaten in Kampfuniform zu sehen. Und wie viele zivile Serben inzwischen bewaffnet sind, haben die Hauptstädter in der Silvesternacht erfahren. Damals donnerten stundenlang Kalaschnikow-Salven in den Sternenhimmel. Eine Woche später sperrten bewaffnete serbische Zivilisten sämtliche Ausfallstraßen der Hauptstadt.
Die Straßenkontrollen haben wieder zugenommen, die Cafés leeren sich nach Einbruch der Dunkelheit. Und gestern hat die US-Regierung alle Amerikaner aufgefordert, das Land umgehend zu verlassen. Wenn denn auch noch die OSZE-Beobachter und die Mitarbeiter humanitärer Organisationen verschwinden, sind die Kosovo-Albaner wieder, wie vor dem Krieg, mit den Serben unter sich. Thomas Schmid, Pristina
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