: Kriegsdienst verfassungswidrig
Spektakulärer Beschluß des Potsdamer Landgerichts: Die Wehrpflicht ist „in einem nur noch von Freunden umgebenen“ Deutschland nicht durchs Grundgesetz gedeckt ■ Von Robin Alexander
Berlin (taz) – Das Bundesverfassungsgericht muß prüfen, ob die Wehrpflicht im Einklang mit dem Grundgesetz steht. Am Freitag hatte das Potsdamer Landgericht überraschend ein Verfahren gegen einen Totalverweigerer mit der Begründung ausgesetzt, die Wehrpflicht sei wegen der veränderten geopolitischen Lage ein „nicht mehr verhältnismäßiger Grundrechtsbegriff“. Diese Vorlage geht nun an das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.
Die Entscheidung fiel in einem Verfahren gegen den Totalverweigerer Volker Wiedersberg. Er jubelt noch heute. Bis Freitag hatte der 30jährige Jurastudent dagegen in Gerichtssälen kaum Grund zur Freude. Seit Wiedersberg 1985 in der DDR Kontakt zu Verweigererszene bekam, muß er sich vor Richtern zweier deutscher Staaten für seine pazifistische Gesinnung verantworten. Schon vor der Wende hatte er erst den regulären Dienst in der NVA und später auch den Dienst als „Bausoldat“ verweigert. Sein Engagement für die friedliche Revolution brachte ihn im Oktober 1989 für sieben Tage in ein Potsdamer Gefängnis.
Auch nach der Wende folgte Wiedersberg seiner Einberufung zum Zivildienst in das Potsdamer Grünflächenamt nicht und wurde in erster Instanz zu 1.500 Mark Geldstrafe verurteilt. Das Landgericht Potsdam hob in zweiter Instanz nicht nur diese Strafe auf, sondern stellte gleich die Wehrplicht als solche zur Disposition. Das Gericht argumentierte, Deutschland sei nur noch von Verbündeten und Freunden umgeben. Nach dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes sei der Eingriff in die Grundrechte von Wehr- und Zivildienstleistenden nicht mehr verhältnismäßig. Die militärischen Aufgaben könnte auch eine nur aus Freiwilligen bestehende Armee bewältigen. Nach dieser Logik macht sich niemand strafbar, der nicht zum Zivildienst oder zur Bundeswehr antritt.
„Eine absurde Entscheidung“, kommentierte Rupert Scholz wütend und prohezeite, das Verfassungsgericht werde die Potsdamer Entscheidung „mit links abschmettern“. Gegenüber dem Focus übte der CDU-Politiker harsche Richterschelte: „Diese Entscheidung ist abenteuerlich und anmaßend.“ Eine Verfassungsnorm, auf der das Wehrpflichtsgesetz beruhe, könne nicht verfassungswidrig sein. Scholz ist nicht nur ehemaliger Verteidigungminister, sondern auch Mitautor des bekanntesten Grundgesetzkommentars Maunz/ Dürig/Herzog/Scholz.
Das Verfassungsgericht hat in der Vergangenheit mehrmals entschieden, die Wehrpflicht sei verfassungskonform. Der letzte Spruch dazu stammt allerdings aus dem Jahre 1978 und betont die „verfassungsrechtlich unbedenkliche“ Landesverteidigung durch eine freiwillige Armee. Es gilt als unwahrscheinlich, daß Karlsruhe den Gesetzgeber zwingt, die Wehrpflicht abzuschaffen. Diese Entscheidung muß der Bundestag fällen. Dessen Mehrheit ist zur Zeit Rot-Grün.
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