Herz in Seenot

Viele Rätsel, keine Antwort: Felicitas Hoppes so enigmatisches wie packendes Reisetagebuch „Pigafetta“  ■ Von Karen Schulz

Ein Buch wie eine Hypnosebehandlung: Man läßt sich darauf ein, wird aufgesogen – und nach gut 150 Seiten Faszination in die Verwirrung der eigenen Gedanken entlassen. Da ist Aufräumen angesagt – zu klärende Fragen: Wer ist Pigafetta? Und wer die Erzählerin? Warum reist sie um die Welt? Und wovor läuft sie eigentlich weg?

Doch der Reihenfolge nach: Kernstück von Felicitas Hoppes packendem Romanerstling Pigafetta ist eine Weltumrundung auf einem Frachtschiff. Scharf beobachtet von einer Erzählerin, die von sich selbst kaum etwas preisgibt – dafür ist die Autorin schon bekannt und mit Preisen dekoriert worden. Bereits in ihrem 1996 erschienenen Geschichtenband Picknick der Friseure sind Rätsel an der Tagesordnung, und oft bilden die ErzählerInnen deren Mittelpunkt.

Mit Pigafetta bleibt Hoppe dieser Tradition treu: Etwas über die Reisende zu erfahren, erfordert genaues Lesen. Nichts wird zu Ende erklärt, alles nur angerissen – das allerdings in einer Dichte und einer klar strukturierten Sprache, daß einem dieselbe wegbleibt beim Eintauchen in die Romanwelt.

Pigafetta ist ein eigenwilliges Reisetagebuch: Die Orte sind nicht weiter von Belang, New York betritt die Erzählerin nicht einmal. Statt dessen gehören ihre genauen Beobachtungen den Geschehnisse an Bord des Frachtschiffes, das neben Containern auch zahlende Gäste befördert – der skurrilsten Sorte, denn wer nutzt heute schon noch eine derart langwierige Beförderungsmethode, wenn die andere Seite der Weltkugel per Flugzeug in wenigen Stunden erreichbar ist?

Jemand der Flugangst hat zum Beispiel, wie der Geograph aus Australien; oder der bridgewütige Pfirsichzüchter aus den USA, der in Ermangelung von Spielpartnern die Zeit grummelnd mit Patiencen legen verbringt; der französische Klempner, der seine zahlreichen Liebschaften auf Tahiti besuchen will; und eben die Erzählerin, die sich in langen Nächten mit Pigafetta über die Eigenarten der Seefahrt austauscht. Pigafetta, der einst mit Magellan um die Welt segelte und von Ratten, meuternden Köchen und rivalisierenden Kapitänen zu erzählen weiß. Pigafetta, der von der Seekrankheit des Herzens berichtet: Von der Leidenschaft, zur See zu fahren, dem Land zu entkommen, aber auch von der Angst vor der Rückkehr.

Damit sind es der Rätsel nicht genug, die Erzählerin findet immer neue Fragen: Wie kann man bei Seegang im Bauch des Schiffes ein Tischtennismatch gewinnen? Warum weiß keiner, was die Container enthalten, die rund um den Globus geschippert werden? Warum lächelt der Kapitän niemals und verläßt nach der halben Tour das Schiff? Um konkrete Antworten geht es Hoppe nicht, vielmehr um den gesellschaftlichen Mikrokosmos, der sich auch auf dem Schiff entfaltet; und um die Befindlichkeit der Erzählerin, aus der solche Fragen entstehen. Für sie wird das Frachtschiff, das zu Beginn der Reise noch Ausflug und Abenteuer – sprich: Ausbruch – verheißt, nach kürzester Zeit zu einem Gefängnis, und damit zum Spiegel ihrer eigenen Existenz. Dem zu entgehen, hilft alles Philosophieren mit Pigafetta nicht. Wie ein Alarm deutlich macht, der Besatzung und Gäste in die Rettungsboote schickt, bietet auch ein Schiff kein Entkommen vor der eigenen Person. „Wer schwimmen kann, kommt nur langsamer um.“

Felicitas Hoppe: „Pigafetta“, Rowohlt 1999, 156 Seiten, 29,80 DM.

Lesung: heute, 20 Uhr, Literaturhaus, Schwanenwik 38