: "Grenzen durchlässig machen"
■ Dieter Wolf, der Präsident des Bundeskartellamts, wünscht sich eine weltweite Aufsicht über Fusionen. Noch gebe es aber kein wettbewerbsrechtliches Problem durch Großfusionen
taz: Herr Wolf, hätten Sie die Fusion von Daimler und Chrysler gern unterbunden?
Dieter Wolf: Nein, denn ich sehe nicht, daß dadurch eine marktbeherrschende Stellung entsteht.
Bei vielen Leuten herrscht aber Unbehagen gegenüber solchen Industriekolossen.
Nur weil man irgendwelche Strukturen nicht für wünschbar hält, darf man nicht in den Markt der Beteiligungen eingreifen. Fusionskontrolle ist ein sehr weitgehender Eingriff. Das darf der Staat nur zur Abwehr der Entstehung von Machtpositionen.
Den Punkt sehen Sie bei den jüngsten Fusionen noch nicht erreicht?
Wettbewerbsrechtlich nicht. Daß das noch eine gesellschaftspolitische Dimension haben kann, weil Unternehmen in Größenordnungen hineinwachsen, die von Staaten nicht mehr handhabbar sind, das ist nicht das Problem des Kartellrechtlers. Ich kann verstehen, daß die Politik Unbehagen entwickelt gegenüber so großen Unternehmen, die schlicht sagen, wenn ihr nicht unseren Vorstellungen folgt, dann gehen wir halt woanders hin. Das Problem muß aber die Politik lösen.
Fordern Sie deshalb eine Weltkartellbehörde?
Das tue ich nicht.
Auch darüber gibt es andere Auffassungen.
Die Frage der Institution, bei der man ein Weltwettbewerbsregime ansiedelt, ist zwar nicht unwichtig. Ich möchte sie aber erst diskutieren, wenn man über die Grundsatzfrage – will man so etwas haben? – einig geworden ist. Denn wenn man die Institution in den Vordergrund stellt, dann kommt von den Gegnern gleich die Frage: Ach, 'ne neue Behörde? Wie groß soll die denn sein? Wer soll die leiten? Das ist eine ganz einfache und billige Methode, so ein Thema totzuschlagen. Erst wenn man sich einig ist, daß man ein multilaterales Weltwettbewerbssystem entwickeln will, dann kann man auch die Frage der Institution diskutieren, und da wird sich schon was finden.
Was zum Beispiel?
Das kann die WTO oder OECD sein, das kann auch eine ganz andere Institution sein. Ich fordere aber bewußt zum jetzigen Zeitpunkt kein Weltkartellamt, da das falsch verstanden wird.
Manchmal scheint die Fusionslust der Unternehmenslenker als die letzte Strategie im Überlebenskampf.
Es gibt da Moden und Trends. Derzeit geht der Trend zu einer Konzentration auf die Kernaktivitäten. Dann kommt das Steuerrecht hinzu, das größere Anlagevermögen und natürlich auch das Prestigedenken mancher Manager. Wir müssen dabei nur Vorsorge treffen, daß keine Zusammenschlüsse entstehen, die auf bestimmten Märkten zu einer Weltmarktbeherrschung führen.
In welchen Branchen sehen Sie diese Gefahr?
Am ehesten im Sektor der Finanzdienstleistungen. Die großen Finanzdienstleister kooperieren jetzt schon in sehr ausgedehnten Netzwerken ständig miteinander – 24 Stunden an sieben Tagen in der Woche. Der Ausbau eines solchen technischen Netzwerks zu kapitalmäßigen Verflechtungen ist nicht schwierig. Da entstehen eher Machtzusammenballungen als im produzierenden Gewerbe.
Ist das schon bei der angestrebten Fusion von Deutscher Bank und Bankers Trust der Fall?
Noch führt das nicht zu kartellrechtlich kritischen Marktanteilsadditionen weltweit. Nur das ist bisher die Spitze des Eisbergs in diesem Trend zur Konzentration.
Und der Trend ist unumkehrbar?
Ich will nicht ausschließen, daß es nach der ersten Welle der Megafusionen nicht auch die ersten Flops gibt. Das muß nicht gleich zum Zusammenbruch der beteiligten Unternehmen führen, es reicht ja, wenn sich das in roten Zahlen äußert. Das mag zu einer Dämpfung dieser Zusammenschluß-Euphorie führen – in der Zukunft wohlgemerkt. Je größer die Märkte werden, desto stärker ist auch der Anreiz, mit Unternehmensgrößen zu operieren, die wesentlich größer sind, als was wir bisher gewöhnt sind.
Und dabei sehen Sie keine Probleme?
Doch, denn neu ist, daß es nun in einigen Branchen zu Marktverengungen kommen kann. Wenn bisher in Europa eine Verengung stattfand, dann kamen amerikanische Wettbewerber und lockerten die Strukturen wieder auf. Was den Weltmarkt angeht, können Sie diese Erwartung nicht mehr haben. Der potentielle Wettbewerb von außen entfällt. Die Grenzen unseres Raumschiffes Erde sind dann erreicht. Deshalb ist die Etablierung einer weltweiten Konzentrationskontrolle wichtig.
Wie könnte die aussehen?
Man sollte die bilaterale Zusammenarbeit insbesondere der Industrieländer im transatlantischen Verhältnis stärken, mehr und mehr unter Einschluß Asiens.
So versucht man es ja bislang auch schon.
Das bilaterale Vorgehen wird an Grenzen stoßen. Das führt zwangsläufig dazu, daß man sich dem Multilateralen zuwenden muß, wie das ja die Handelspolitik mit Schaffung der WTO, der Welthandelsorganisation, auch gemacht hat. Es ist ja auch gar nicht einzusehen, daß sich die Handelspolitik mit einer Vielzahl von Verträgen absichert, während sich die andere Seite – nämlich die Sicherung offener Märkte und wettbewerblicher Strukturen – nach wie vor im Bereich der Hoffnung bewegt. Es ist doch erstaunlich, daß das Thema Konzentrationspolitik bei der WTO überhaupt nicht diskutiert wird.
Wenn die Staaten vorher die Konzentrationsbewegungen nicht kontrollieren, können sie dann später die Konzerne entflechten?
Auf Entflechtung zu setzen, davor warne ich. Machen Sie mal aus Rühreiern wieder ganze Eier. Durch einen jahrelangen Prozeß einer Entflechtung werden Unternehmen am Markt unglaubwürdig, schreiben rote Zahlen, entlassen Leute, und am Schluß haben Sie nur noch zwei Leichen daliegen.
Die Lage hört sich aber ziemlich hoffnungslos an.
Nein, aber in Deutschland hat es ja auch lange gedauert, bis es zu einer Fusionskontrolle gekommen ist: von 1958 bis 1973. Die europäische Fusionskontrolle ist erst 1990 in Kraft getreten, und das Welthandelsabkommen hat auch 15 Jahre gebraucht: Am Anfang stand nur Skepsis, am Ende stand die WTO. Daß man eine Weltkartellbehörde nicht kurzfristig realisieren kann, heißt doch nicht, daß man das Thema totschweigt.
Ist das unter der rot-grünen Regierung einfacher durchzusetzen?
Die jetzige Regierung hat jedenfalls auf parlamentarische Anfrage erklärt, daß sie das Thema angehen will. Davor herrschte eher Sprachlosigkeit. Die amerikanische Seite lehnte den multilateralen Ansatz generell ab. Sie hat ja mit bilateralen Verträgen Erfolg, und außerdem war bei den bisherigen Großfusionen immer mindestens ein amerikanisches Unternehmen beteiligt. Nur kann man sich nicht sicher sein, daß das für alle Zukunft so bleibt. Deshalb werden die Amerikaner nun nachdenklicher.
Wird auf dem G7-Gipfel im Sommer über eine internationale Fusionskontrolle gesprochen?
Nein, aber das ist auch kein Thema, bei dem man drängen kann. aber das Bewußtsein darüber wächst. Vor einem Jahr wußte niemand, wovon ich sprach.
Wie sehen Sie die Welt, wenn es nicht zu einer weltweiten Fusionskontrolle kommt?
Wir werden immer größere Unternehmenseinheiten bekommen. Irgendwann ist dann der Punkt erreicht, daß auf manchen Weltmärkten die Konzentration so hoch wird, daß eine Beherrschung dieses Marktes möglich ist. Dann sind wir mit riesigen Einheiten konfrontiert, die sich nicht mehr beherrschen lassen.
Noch können Staaten die Konzerne beherrschen?
Jetzt noch. Wettbewerblich schaffen die Großunternehmen noch kein Problem. Die Märkte sind entsprechend mitgewachsen, die vertragen so große Einheiten.
Da sind wir wieder bei der Wahrnehmung.
Es gibt das Problem des Wettbewerbs und des Politischen. Das sind zwei Paar Schuhe. Ich bin nicht dazu da, das politische Problem zu lösen. Ich kann die Politik nur auffordern, wenn sie dem Problem gerecht werden will, möglichst schnell die politischen Grenzen durchlässig zu machen. Die Ökonomie hat die Staatsgrenzen mittlerweile sehr weitgehend überwunden.
Wenn das Problem erkannt wurde, warum verschwendet die Regierung dann soviel Zeit?
Weil das alles mit Pfründen verbunden ist. Wenn Sie ein Europa hätten, das von einer Regierung regiert wird, dann wäre damit Machtverlust in den Mitgliedsstaaten und die Verringerung der Zahl von Funktionsträgern verbunden. Die Industrie macht so etwas: Zack, werden die Managementkosten reduziert. Die Politik macht das aus naheliegenden Gründen nicht. Die Politik wird sich in dieser Hinsicht flexibler und reaktionsschneller geben müssen, wenn sie einigermaßen mithalten will.
Ist das ein Plädoyer für eine europäische Bundesregierung?
Eine solche Europaregierung könnte mit Größeneinheiten besser zurechtkommen, als die nationalen Regierungen das heute tun. Damit wären vielleicht die Weltmärkte immer noch eine Schuhnummer zu groß, aber Europa als Markt würde dann mit einer politischen Dimension deckungsgleich sein, die entsprechend wäre. Interview: Ulrike Fokken
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