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Klassenkampf und Kastenkrieg in Bihar

Im indischen Armenhaus Bihar geben sich Maoisten als Sachwalter der Unberührbaren und Landlosen  ■   Aus Delhi Bernard Imhasly

Rund tausend Mann waren beim Überfall auf das Dorf Senari am Abend des 18. März im Einsatz. Ein Großteil der Truppe – alle in Polizeiuniformen – umringte die Gruppe von Hütten. Einige Dutzend Männer waren in umliegende Weiler abkommandiert, um sicherzustellen, daß von dort keine Hilfe kam. Andere überfielen nahegelegene Polizeistationen, um zu verhindern, daß die Beamten Verstärkung anforderten. Erst dann begann die systematische Selektion der Dorfbewohner.

Im Gegensatz zu ihren Gegnern töten die Kader des Maoist Communist Centre (MCC) keine Frauen und Kinder. Die Zahl der Männer, die schließlich aufs Feld geführt wurden, entsprach genau den Opfern der beiden Massaker im Januar und Februar, die mit dieser Bluttat gerächt werden sollten. Selbst die Waffen – Sicheln, mit denen die Gurgeln der 35 Opfer durchschnitten wurden – waren bewußt gewählt: Mit Sicheln wird das Getreide geschnitten, und das Recht, sein eigenes Korn zu schneiden, ist ein Leitmotiv.

Das Massaker vom 18. März war eine Antwort auf die Massaker der beiden Vormonate. Jene waren von der Ranvir Sena verübt worden, einer Privatarmee reicher Landbesitzer aus der Bhumihar-Kaste, bestehend aus rund 5.000 Freiwilligen, die meist aus armen Familien der gleichen Kaste rekrutiert werden. Auch die Opfer von Senari waren Kleinbauern, deren einziges Verbrechen war, daß sie Bhumihars sind – ähnlich wie bei den Einwohnern von Shankarbigha und Narayanpur ein paar Wochen zuvor, die Dalits waren.

Im Krieg der Kasten im ländlichen Bihar geht es nicht mehr um die Bestrafung von Tätern, sondern um die Begleichung von Sippenschuld und Klassengegensatz. Die Zahl der Opfer auf beiden Seiten im jahrzehntelangen Kampf wird auf inzwischen 2.000 Menschen geschätzt.

Die Ranvir Sena wurde im 1994 gegründet. Der Anlaß soll die Weigerung eines Dalit gewesen sein, einem Bhumihar eine Zigarette zu geben. Es war der lange gesuchte Anlaß, um den immer selbstbewußter auftretenden Dalits und ihren bewaffneten Beschützern offiziell den Krieg zu erklären.

Begonnen hatte der bewaffnete Konflikt schon vor 30 Jahren, als die maoistische Guerilla der „Naxaliten“ begann, sich für die Masse der landlosen und sozial geächteten Landarbeiter einzusetzen. Heute gibt es drei große Gruppierungen, die sich mißtrauisch beäugen, aber ihre Einflußbereiche räumlich aufteilen: die CPI-Marxist-Leninist-„Liberation“, die CPI-ML-„Party Unity“ und das MCC, die Attentäter von Senari.

Der Grund für den Erfolg der Naxaliten in Bihar liegt in der sozialen Ausgrenzung und extremen wirtschaftlichen Not der Dalits. Im Gegensatz zu anderen Bundesstaaten gelang es hier nicht, eine Landreform durchzuführen, die den Landlosen zumindest ein Pachtrecht gesichert hätte. Dies lag an der Dominanz einer kleinen Schicht von Dorffürsten, die im letzten Jahrhundert von den Engländern als Steuervögte eingesetzt worden waren. Als Ersatz für die ausbeuterischen Abgaben beschlagnahmten sie Land und wurden so zu Großgrundbesitzern, während die Bauern verarmten. Bihar, einst die Kornkammer Indiens, wurde zum Armenhaus. Besonders verhängnisvoll war, daß sich nach der Unabhängigkeit die „Zamindars“ mit kleinen Landbesitzern aus den unteren Kasten zusammentaten, um eine Verteilung des Landes unter den Millionen Landlosen zu verhindern. Dieser Allianz gelang es, jede Landreform zu hintertreiben.

Die linken Guerillas haben nicht unrecht, wenn sie hinter den Kastengegensätzen Klassenunterschiede ausmachen. Die soziale Ächtung der Armen gab ihnen dabei ein wichtiges emotionales Bindemittel in die Hand, um den Kampf gegen die feudalen Besitzverhältnisse zu organisieren. Es waren nicht so sehr die selektiven Morde an Großbauern, die zur Aufstellung von Privatarmeen der Landbesitzer führten, sondern die „Nakabandis“– Boykotte landwirtschaftlicher Produkte der landbesitzenden Kasten. Diese „unerhörte Frechheit“, wie sich ein Führer der Ranvir Sena ausdrückte, war eine soziale und eine wirtschaftliche Herausforderung. Die Virulenz dieser Kombination läßt sich an der Grausamkeit ablesen, mit der die Ranvir Sena selbst Frauen und Kinder hinschlachtet, ebenso wie an der Popularität ihrer Gegner, die in bestimmten Landstrichen die einzige Ordnungsmacht darstellen.

Ihnen steht die Impotenz des Staates gegenüber. Sie spiegelt den Widerstand der politischen Elite, die sich vor einer Mobilisierung der Millionen Landlosen fürchtet. Sie ist aber auch Produkt der Korruption, die das öffentliche Leben durchsetzt. Chefminister Laloo Prasad Yadav mußte 1997 den Hut nehmen, nachdem er schwer belastet worden war. Acht Milliarden Rupien waren statt in Futtermittel für Kleinbauern in die Taschen von Politikern geflossen. Dies hinderte ihn aber nicht, seine Frau Rabri Devi auf den Schild zu heben. So regierte er mit Hilfe des Handys weiter aus seiner Zelle heraus. Selbst der Zentralregierung gelang es nicht, das Duo nach den letzten Massakern aus dem Sattel zu heben. Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes mußte sie die Absetzung einer Provinzregierung rückgängig machen, weil die Kongreßpartei aus taktischen Überlegungen nicht mitzog.

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