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Tahiti im Herzen und Bügeln im Sinn

Zwischen Subversion und Biedermeier: Felicitas Hoppe unternimmt in ihrem ersten Roman, „Pigafetta“, eine Schiffsreise um die Erde. Dabei entfaltet sie die nautische Enzyklopädie einer Welt, die von bürgerlichen Lodenmänteln erzählerisch warm gehalten wird  ■ Von Eva Behrendt

Manche Bücher sprechen eine Sprache, die hinterrücks den Kopf besetzt. Auf den alltäglichen Wegen stülpt sie sich über Rhythmus und Melodie jener Gedanken, mit denen man still zwischen Wohnungstür und U-Bahnhof, Supermarkt und Arbeitsstätte zugange ist. Man ertappt sich beim Rezitieren des Einkaufszettels in schwerblütigen Versen, reflektiert aufkeimende Erkältungen in abgehackten Satzfetzen, erinnert sich der letzten Reise in wortgewaltiger Prosa oder beackert das aktuelle Herzensdesaster in repetitiven Schimpfkanonaden österreichischer Lautfärbung. Ähnliches kann geschehen während der Lektüre von „Pigafetta“, Felicita Hoppes erstem Roman. Die Dosis wirkt schon nach dreißig Seiten: als scheinbar beschaulicher Fluß, der dennoch eigentümliche Atemlosigkeit entfaltet und sich suggestiv auf die Gedanken legt.

In „Pigafetta“ unternimmt jemand eine rätselhafte Schiffsreise um die Welt. Wer genau da reist und erzählt, zu welcher Zeit, zu welchem Zweck und mit welcher Fracht das Schiff unterwegs ist – das alles erschließt sich erst allmählich, oft widersprüchlich oder überhaupt nicht. Die Ich-Erzählerin besteigt in Hamburg als „zahlender Gast“ einen modernen Frachter, der Container mit mysteriöser Ladung über die Ozeane transportiert: „Erst wenn man in irgendeinem Hafen der Welt die großen Kisten öffnet, wird man sie also finden, eng aneinander geschmiegt wie schlafende Tiere oder fest ineinander verknäulte Liebhaber, die Fäuste geballt und die Stirnen von innen gegen die Wand gedrückt. Dann wird man sie ans Licht ziehen und endlich wissen, was sich in ihren Gesichtern malt.“

Doch bis dahin müssen Wochen der Monotonie vergehen, in denen das Schiff zum Gefängnis wird, denn der Anker wird nur selten und für kurze Zeit geworfen. Um so genauer beobachtet die Erzählerstimme die Mitreisenden: den kahlköpfigen englischen Geographen und Monarchisten, der bei den Mahlzeiten in der Messe unerbetene Vorträge über Winston Churchill hält, den weisen Mechaniker Nobell, das kreuzbiedere Ehepaar Happolati aus Bremerhaven, dessen Platz in Charleston ein videofilmender Pfirsichzüchter aus Georgia einnimmt, den philippinischen Schiffskoch, zuständig für „die Undurchsichtigkeit gewisser Suppen“, und einen französischen Seemann in Rente mit der Sehnsucht nach Tahiti im Herzen, der Insel mit dem „unmöglichen Blau des Wassers und dem empörenden Weiß der Strände“.

Was reizt die zahlenden Gäste in Zeiten preiswerten Flugverkehrs an einer solch entsagungsvoll eintönigen Fahrt? Der Weg – und nicht das Ziel? Hoppe streut kleine Hinweise: Pigafetta, der Geist des historischen Antonio Pigafetta, der einst mit Fernando Magellan in die Ozeane expedierte, flüstert der Erzählerin all jenes Seemannsgarn ein, das im zeitgemäßen Frachtverkehr obsolet geworden scheint. Träume von Totenschiffen und neptunischen Tiefseetaufen, von Piraterien und natürlich von der Entdeckung neuer Paradiese am Ende der Welt. Je länger Pigafetta wispert, desto mehr vermischt sich das Mythisch-Halluzinogene ihres Erzählens mit dem Seealltag zur somnambulen Groteske.

Immer gleich ist nur die Seekrankheit – egal, ob sie in Kopf, Bauch oder Herzen schmerzt. Die Matrosen bekämpfen sie mit Kartenspiel und Bier und den Mädchen im Hafen; die Erzählerin mit wildwuchernder Phantasie, die auch die dürrste Fischgräte zum Anlaß nimmt, um ihre Netze auszubreiten. Daran hindert sie auch nicht der schiffsmüde Kapitän, der eines Tages von Bord geht und ausgerechnet ihr das Kommando überträgt. Was tut's? Die Rundreise führt doch nur von Hamburg nach Hamburg: „Also stehen wir still, und es bewegt sich um uns herum mit einer Geschwindigkeit von achtzehn Knoten die Welt.“ In ihrer Sinnlosigkeit nur sinnhaft ist die Entdeckung kurz vor Ende der Reise, als aus den Containern brauner Saft rinnt: Kartoffeln hat man so lange um den Erdball geschifft, bis sie zu faulen begannen und nun nicht mehr zu retten sind.

Mit der familiären Adresse „ihr Lieben!“, mit konspirativem „wir“ und „uns“ schlingt Felicitas Hoppe ein Band um Besatzung und Leser und greift verschlungene Fäden auf, die bereits ihr mehrfach preisgekrönter Erzählungsband „Picknick der Frisöre“ (1996) ausgelegt hat. Die darin entwickelte Erzählform grotesker Kürzestgeschichten in unzeitgemäßer Prosa findet sich auch in „Pigafetta“ wieder.

Trotz einer vagen Chronologie entlang der angesteuerten Häfen zerfällt der Roman in Fragmente, in Artikel einer märchenhaften nautischen Enzyklopädie, die ein verschlossenes Universum zu beschreiben versucht. Darin wiederum entfaltet die Autorin eine eindringliche poetische Ordnung von Attributen und Substantiven, die sie bereits in „Picknick der Frisöre“ angelegt zu haben scheint: Mütze und Schnürsenkel, Bibel und Suppe, Vater und Schwester. Vor allem aber hat es Felicitas Hoppe das Bügeln angetan. Gebügelt liegen die Schiffskarten in irgend welchen Laden, in düsterer Stimmung träumt man von gebügelter Wäsche, Hemden und Blusen werden auch auf hoher See in fast ritueller Zwanghaftigkeit per Eisen in Ordnung gebracht.

Damit liegt nicht bloß ein Hauch, sondern ein bürgerlicher Lodenmantel atmosphärisch auf dem Werk von Felicitas Hoppe. Er persifliert natürlich, mal mit andächtiger Herzlichkeit, dann wieder abgründig boshaft. Und so rührt „Pigafetta“ an Bilder, die einer bürgerlichen, ganz und gar gebügelten Kindheit entstammen, wo der Vater beim Abendessen lateinische Grammatik abhörte und den Kleinen die Abenteuer des Lord Hornblower als Lektüre empfahl, in der die Mutter, wenn sie nicht eben am Bügelbrett stand, auf ordentlich geschnürte Stiefel achtete und die Schwester trotz der Bibel auf dem Nachttisch vom Generalkapitän und den großen Abenteuern auf See träumte.

Schreibt die Autorin diese Verbindung zwischen Meerestraum und Bürgerklima als einen Topos fort, den die Kultursoziologie für das Zeitalter des Imperialismus entdeckt hat – oder verhohnepipelt sie ihn gar? Eher schon aufersteht er auf der Folie eines Erzählens um des reinen Erzählens willen: aus purem Überfluß und als luxuriöse Dreingabe; anscheinend völlig absichtslos. Ob Subversion oder Biedermeier – zufriedengeben muß man sich wohl mit der scheinheiligen Beteuerung der reisenden Erzählerin: „Aber es ist nichts erlogen, ich habe alles ehrlich erfunden.“

Felicitas Hoppe: „Pigafetta“. Roman. Rowohlt Verlag, Reinbek 1999, 160 Seiten, 29,80 DM

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